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Tobias-Mayer-Quartier: Preisgericht kürt die beiden Sieger »geschlossen und einstimmig«
Die Esslinger Wohnungsbau GmbH (EWB) und die Baugenossenschaft Esslingen eG (BGE) entwickeln das Tobias-Mayer-Quartier im Esslinger Stadtteil Hohenkreuz unter aktiver Beteiligung der Bürgerschaft. Ziel ist es, in den kommenden Jahren im Kontext der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) ein zukunftsfähiges und vielfältiges Wohnquartier mit bezahlbarem Wohnraum zu schaffen. Mit dem dritten Bürgerdialog und der Preisgerichtssitzung ist das Verfahren nun in die zweite Phase gegangen.
In der ersten Phase hatten im September 2021 insgesamt elf Architekturbüros ihre Entwürfe der Öffentlichkeit präsentiert. Interessierte Bürgerinnen und Bürger konnten sich ein Bild davon machen, wie das etwa drei Hektar große Areal zwischen der Tobias-Mayer- und der Palmstraße bebaut werden könnte. Das Preisgericht sprach sich einstimmig für den Entwurf von Studio Vlay Streeruwitz aus Wien aus. Den dritten Platz teilten sich zwei Stuttgart Büros: Wittfoht Architekten und LEHENdrei.
Auftrag an die drei verbliebenen Büros war es, auf Grundlage des Siegerentwurfes weiter zu planen. Die Ergebnisse dieses zweiten Verfahrensbausteins wurden der Öffentlichkeit am Dienstag, 25. Januar 2022, in einem digitalen Bürgerdialog vorgestellt. Die Arbeiten stießen auf großes Interesse, Anregungen von Seiten der Bürgerschaft waren ausdrücklich erwünscht. Am Folgetag kam das Preisgericht zusammen. Im Ergebnis wurden zwei Sieger geschlossen und einstimmig gekürt, so dass das Quartier zwei Handschriften tragen wird. Der Vorjahressieger, das Studio Vlay Streeruwitz, Wien, mit Carla Lo Landschaftsarchitektur, Wien, und Ingenieurbüro P. Jung GmbH, Hamburg, konnte mit seiner Ausführung des Kettenhauses überzeugen, während das Stuttgarter Büro Wittfoht Architekten mit Schreiberplan GmbH die Jury mit seiner Version eines L-Gebäudes begeisterte.
EWB-Geschäftsführer Hagen Schröter, neben der Baugenossenschaft Esslingen (BGE) einer der Auslober des Wettbewerbs, zeigte sich höchstzufrieden mit den ausformulierten Plänen. »Damit haben wie einen Entwurf, der nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch städtebaulich attraktiv ist«, so Schröter. Hans-Georg Sigel, Baubürgermeister Stadt Esslingen, ist überzeugt davon, dass der geplante Mix aus Freiflächen und Wohnflächen neue Qualitäten in den Stadtteil bringen wird. Prof. Dr. Franz Pesch, Vorsitzender des Preisgerichts, lobte das Verfahren als beispielhaft, da man sich zum einen Zeit gelassen habe und zum anderen die Bürgerschaft mit einbezogen wurde. »Dieser Mut, einen eigenen Weg zu gehen, hat den Rückenwind für ein tolles, am Gemeinwesen orientiertes Projekt geliefert«, sagt Pesch. »Ein Projekt, das weit über die lokale Situation hinaus strahlen wird.«
Andreas Hofer, Architekt, Intendant und Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27), erklärt: »Die Ausloberinnen und wir in der Jury haben uns gemeinsam mit viel Mut zu wirklich großen Häusern entschlossen, und dadurch für einen Mehrwert für alle. Denn nur so schaffen wir die notwendige Menge an Wohnraum mit vielfältigen Wohnangeboten – und gleichzeitig neuen Freiraum, der allen Menschen im Stadtviertel zugute kommt. Wenn wir so weitermachen, mit dieser Sorgfalt, mit gutem Zuhören, im Dialog zwischen Planerinnen, Auslobern, Stadtgesellschaft – dann wird das Projekt richtig gut.« Roswitha Rostek, Vorsitzende des Bürgerausschusses WHSO, lobt das gesamte Verfahren: »Es war spannend, durch das Büro Stadtberatung Dr. Sven Fries als Bürger von Anfang an mitgenommen zu werden und dass die Anregungen aus Bürgerdialogen und Gesprächen dann auch wirklich in die Leitlinien für den Architektenwettbewerb eingeflossen sind.« Werner Strauss, Vorsitzender des Bürgerausschusses St. Bernhardt, hofft in Ergänzung zu dem gelungenen Entwurf auf ein entsprechendes Mobilitätskonzept, das sich nicht nur auf das zu bebauende Areal, sondern auch auf die künftigen Baugebiete erstreckt. Baubeginn des ersten Bauabschnitts im Tobias-Mayer-Quartier ist voraussichtlich im Ende 2023.
Schriftliche Beurteilung der Arbeiten durch die Jury
Kettenhaus: Studio Vlay Streeruwitz, Wien mit Carla Lo Landschaftsarchitektur, Wien und Ingenieurbüro P. Jung GmbH, Hamburg
Das Kettenhaus, eines der Alleinstellungmerkmale des städtebaulichen Entwurfs von StudioVlayStreeruwitz, baute im 1. Teil des Verfahrens das Spannungsverhältnis zwischen innovativem Wohnungsbau und wohnungswirtschaftlicher Realisierbarkeit auf, das es nunmehr im 2. Teil des Verfahrens zu verifizieren gilt. Die Fragestellung, ob eine mäanderisierende Anordnung der 4 Baukörper an einem linearen Erschließungselement gebäudetypologisch zu guten Lösungen führt, wird souverän, innovativ und mit hoher Qualität beantwortet. Hervorzuheben sind die nördlichen Baukörper der IBA, die neue Wohnformen sehr gut und fantasievoll bespielen. Die Kombination von sozialer Gemeinschaft und individueller Privatheit scheint bestens gelungen. Auch die beiden südlichen Baukörper weisen eine hohe Wohnqualität auf. Lediglich die Lage der beiden Aufzüge sollte überprüft werden, da sie die Anbindung der kopfseitigen Wohnungen an die soziale Mitte erschweren.
Die Erdgeschosszone wird vielfältig bespielt, bedarf allerdings der Konkretisierung in einem potenziellen Dialog mit der Stadtgesellschaft und den Nutzer:innen. Das Tiefgaragengeschoss zeigt sehr gute Möglichkeiten auf. Zum einen ist die Erschließung über die Tiefgarage des L-förmigen Gebäudes eine gute Option zur Minimierung der Verkehrsbauwerke im öffentlichen Raum und zum anderen gefallen erste Überlegungen zur Nachnutzung der Tiefgarage in postautomobilen Zeiten gut.
Der ökologisch wertvolle und konstruktiv durchdachte Holzbau überzeugt und scheint auch vor dem Hintergrund der differenzierten und konkretisierten Bauweise ökonomisch realisierbar zu sein. Der architektonische Ausdruck wirkt materialgerecht, differenziert und lebendig. Das Preisgericht diskutiert kontrovers, ob die farbig kontrastierende Grafik in gebaute architektonische Qualität umgesetzt werden kann. Insgesamt überzeugt die Arbeit durch ihre innovativen Gebäudetypologien, soziale Verantwortlichkeit und ökologisches Profil und könnte sowohl für den Ort in Wäldenbronn als auch die Internationale Bauausstellung 2027 gleichermaßen ein wertvoller Beitrag sein.
L-Gebäude: Wittfoht Architekten, Stuttgart mit Schreiberplan GmbH, Stuttgart
Ein großzügiges von der Hof- und Außenseite zugängliches Foyer erschließt die beiden Treppenhäuser und die Infrastruktur- und Gewerberäume im Erdgeschoß. Die Anordnung von Abstellräumen spart zwar unterirdisches Volumen, wird aber der attraktiven Lage nicht gerecht. Hier sollten weitere Gewerberäume – allenfalls auch Wohnateliers angeordnet werden. Die beiden Treppenhäuser liegen am Innenwinkel des Gebäudes und sind natürlich belichtet. Sowohl im Erdgeschoss wie auch in den Obergeschossen sind zusätzliche Brandabschlüsse erforderlich. Diese können allerdings einfach ergänzt werden. Die Treppenhäuser erschließen über gut proportionierte und helle Vorzonen im nordwestlichen fünf und im südöstlichen Flügel drei Wohnungen pro Geschoss. Die Wohnungen haben durchwegs hohe Qualität und entsprechen dem geforderten Mix. Fast alle Wohnungen orientieren sich auf zwei Seiten. Loggien liegen gut bei den Wohn- und Essbereichen und belichten auch die teilweise im Innern des Grundrisses liegenden Küchen. Die Loggien kragen leicht über die Fassaden aus und verbessern den Panoramablick über die bewegte Esslinger Landschaft. Beim Übergang vom fünfgeschossigen zum siebengeschossigen Gebäudeteil ist für die Hausgemeinschaft, an einem Gästeappartement vorbei, ein Zugang auf die Dachterrasse vorgesehen. Auf dem höheren Gebäude produziert Fotovoltaik über einer Begrünung Strom.
Das Erdgeschoss ist massiv, die Obergeschosse sind in Holzhybridbauweise konstruiert. Die Holzfassade ist Anlass für eine Gliederung mit horizontalen Lisenen zwischen denen geschosshohe Fenster mit textilem Sonnenschutz liegen. Diese Gestaltung ist konstruktiv sinnvoll und sie gliedert das große Volumen in die grüne Parklandschaft und das Siedlungsgefüge auf dem Hohenkreuz ein. Insgesamt präsentieren die Verfassenden einen auf allen Ebenen mit hohen Qualitäten durchgearbeiteten Entwurf, der die gestellten Anforderungen weitgehend erfüllt und eine erfolgreiche Realisierung verspricht.