Interview mit dem Verein Adapter
Temporär Wohnen statt Leerstand in der Neckarspinnerei
2017 reichte der Verein Adapter als erstes Vorhaben seine Idee bei der IBA’27 ein. Ziel des Vereins ist die Zwischennutzung temporär leerstehender Gewerbeflächen als Wohnprojekt. Inzwischen arbeitet Adapter eng mit der HOS Projektentwicklung GmbH zusammen, die Trägerin des IBA’27-Projekts »Neckarspinnerei Quartier« in Wendlingen am Neckar ist. Im März 2024 entschied der Verband Region Stuttgart, dass er Adapter mit Mitteln aus dem Fördertopf »Regionale Innovationen in IBA’27-Projekten« unterstützt. Mit der Förderung und der Unterstützung der Vector Stiftung realisiert der Verein ein Pilotprojekt, bei dem er eine denkmalgeschützte Gewerbeimmobilie in der Neckarspinnerei temporär in Wohnraum umwandelt.
Richard Königsdorfer und Paul Vogt haben den Verein mitgegründet. Im Interview erzählen sie mehr über den Verein und was es mit dem Pilotprojekt in der Neckarspinnerei auf sich hat.
Thea Leisinger: Was zeichnet euch als Verein aus? Welche Ziele verfolgt ihr?
Richard Königsdorfer: Wir sind ein gemeinnütziger Verein und haben uns 2019 gegründet. Mittlerweile sind wir etwa 20 Mitglieder. Wir beschäftigen uns mit Leerstand in der Stadt und damit, wie Partizipation in der Stadt funktioniert.
Und dann natürlich am liebsten ganz stark mit dem Thema Wohnen: Wie leben wir zusammen in der Stadt? Was sind Zukunftsideen, wie wir zusammenwohnen können? Und wie können wir die Flächen in der Stadt am besten gemeinsam nutzen?
Paul Vogt: Wir sind ehrenamtlich aufgestellt und arbeiten mit viel Zeit und Energie an der Umsetzung von verschiedenen Projekten. Unser bisher größtes Projekt steht jetzt in der Neckarspinnerei an: Wir wollen ein Wohnprojekt in leerstehenden Gewerbeflächen realisieren und damit temporären Leerstand für das Thema Wohnen nutzen und neue Wohnformen ausprobieren. So testen wir neue Wege der Nutzung.
Thea Leisinger: Wie kam die Zusammenarbeit mit der HOS Projektentwicklung GmbH zustande? Wie seid ihr auf die Neckarspinnerei in Wendlingen gekommen und welche Rolle spielt die IBA dabei?
Paul Vogt: Durch Zufall. Über mehrere Ecken kamen wir in Kontakt mit den damals für die Sanierung beauftragten Architekten. Nach der Vorstellung unserer Idee vor den Eigentümern haben uns die sehr schnell machen lassen und uns Zugang zum Gelände gegeben. Dass wir beide vorher schon Teil der IBA waren, ergab eine gute Schnittstelle. Die größte Zusammenarbeit war dann letztes Jahr beim IBA’27-Festival, wo wir viel organisiert haben und die Neckarspinnerei ein Veranstaltungsort war.
Richard Königsdorfer: Gemeinsam ist es uns gelungen, dieses bis jetzt ungenutzte Areal zu beleben und zu zeigen, was hier in Zukunft entstehen kann, also wie Nutzungsmischung funktionieren kann. Das Fest in der Neckarspinnerei war sehr gut besucht. Es waren Leute da, die sich für Stadtplanung interessieren, aber auch einfach Menschen aus der Region und aus der Nachbarschaft.
Thea Leisinger: Was plant ihr für den Sommer 2024?
Paul Vogt: In diesem Sommer wird in der Neckarspinnerei gewohnt. Acht Personen können in das Erdgeschoss des Spinnereihochbaus einziehen. Dafür verwenden wir das Innenausbausystem endo, das wir als Verein entwickelt haben.
Richard Königsdorfer: Das heißt, über den Sommer hinweg wird diese Fläche bewohnt und das Quartier noch mal um eine weitere Nutzung bereichert. Dabei fragen wir: Wie lassen sich mithilfe des Innenausbausystems endo unterschiedlichste Wohngrundrisse realisieren? Wie funktioniert das Zusammenleben dort? Aber eben auch: Welche nachbarschaftlichen Beziehungen bilden sich langsam heraus? Und wie eignet sich das ganze Quartier eigentlich zum Wohnen und als Wohnstandort?
Thea Leisinger: Ihr habt gerade euer Innenausbausystem erwähnt, das endo Panelsystem. Ist das eure Erfindung?
Richard Königsdorfer: Für uns ist das endo Innenausbausystem ein Werkzeug. Am Anfang stand die Idee, dass wir temporär Wohnprojekte in leerstehenden Flächen umsetzen wollen. Wir haben oft große, leere Flächen, die fürs Wohnen nutzbar gemacht werden müssen. Das heißt, man braucht Infrastruktur dafür. Endo ist ein System, das von der Bewohnerschaft aufgebaut werden kann, mit ganz unterschiedlichen Grundrissen und für ganz unterschiedliche Anforderungen. Danach kann das System abgebaut und an anderen Orten wieder aufgebaut werden.
Paul Vogt: Es ist ein nachhaltiges System, weil es flexibel und variabel ist, weil es ganz unterschiedliche Grundrisse und ganz verschiedene Nutzungen zulässt. Das Besondere an endo ist für mich, dass es so einfach und modular auf- und abbaubar ist, und dass es Akustik, Beleuchtung, Belüftung und technische Versorgung in sich integriert . Es kann problemlos auch von Laien ohne handwerkliche Ausbildung aufgebaut werden. Unser Ziel ist es, dass daraus ein Geschäftsmodell entsteht, das heißt, dass wir die Module dann auch im großen Stil einsetzen, vermieten oder verkaufen können.
Thea Leisinger: Habt ihr das Endo Panelsystem schon in der Praxis getestet?
Paul Vogt: Wir wollen jetzt in diesem Sommer, wir nennen ihn Pioniersommer, die Anwendung des Wohnens wirklich testen, weil das einfach noch aussteht. Es ist technisch schon getestet, jetzt kommt die praktische Anwendung. Mit den Erkenntnissen können wir das Systm weiter anpassen, damit es später auch an anderen Orten funktioniert. Wir haben da schon Rückmeldung vom Markt bekommen, es gibt Interessenten. Wir haben schon ein paar Gespräche geführt, auch mit möglichen Partnern, mit denen wie für verschiedene Anwendungsfälle kooperieren können. Bevor wir den nächsten Schritt gehen, ist es uns wichtig, die Anwendung wirklich zu testen.
Thea Leisinger: Wo seht ihr das Potenzial für die Region Stuttgart?
Richard Königsdorfer: In der Region Stuttgart gibt es ein großes Potenzial, denn große Flächen stehen ungenutzt leer. Wir sehen das Potenzial vor allem bei Flächen, Gebäuden und Quartieren, die sich in der Entwicklung befinden, also überall dort, wo viel passiert. Wenn ein Umbruch stattfindet, dann fallen Gebäude für eine gewisse Zeit aus der Nutzung. Genau diese Phase wollen wir als produktive Zeit nutzen. Ganz akut ist das im Moment bei den Leerständen in den Innenstädten. Hier stellt sich die Frage: Was macht man mit großen leerstehenden Flächen in innerstädtischen Zonen?
Und wenn eine Bundesregierung so viele neue Wohnungen pro Jahr fordert und gleichzeitig andere Nutzungen nicht mehr nachgefragt werden, dann müssen wir Lösungen und Ideen finden. Unser Ausbausystem ist sicher nicht die einzige Lösung, aber es kann ein Baustein sein. Ziel ist es, dass dieses System durch die Region wandert und immer wieder auf- und abgebaut wird. Die Basis des Systems soll also nach dem Pioniereinsatz in der Neckarspinnerei weiter wandern und in größerer Stückzahl wirklich in die Fläche gehen.
Thea Leisinger: Wie kann man bei euch mitmachen? Kann man sich noch für das Wohnexperiment in der Neckarspinnerei bewerben?
Paul Vogt: Zum einen sind wir für das Experiment in diesem Pioniersommer noch offen für weitere Bewerbungen. Informationen dazu gibt es auf unserer Website. Ich glaube, das ist wirklich eine Chance, eine ganz andere Art des Wohnens auszuprobieren. Man hat wahnsinnig viel Platz, den man gemeinsam oder individuell gestalten kann.
Auf der anderen Seite kann man auch einfach zu uns kommen, wenn man sich für das interessiert, was wir machen, oder wenn man mitmachen will. Wir treffen uns einmal in der Woche und freuen uns über Leute, die mitmachen wollen.
Thea Leisinger: Vielen Dank euch für das Interview. Wir sind schon sehr gespannt auf den Pioniersommer in der Neckarspinnerei und freuen uns, dass er mit der Förderung realisiert werden kann.