Wettbewerbsverfahren bei der IBA
Skizzenverfahren: Für mehr Ideenvielfalt in Architektur und Städtebau
In welcher Stadt wollen wir leben? Die Ideen und Entwürfe von Architektinnen, Stadtplanern und Landschaftsarchitektinnen entscheiden darüber, wie Quartiere, Häuser und Grünanlagen aussehen. Sie gestalten unsere gebaute Umwelt, in der wir uns tagtäglich bewegen und aufhalten. Damit qualitätsvolle Entwürfe realisiert werden, plädiert die IBA’27 für Wettbewerbe. Denn die Qualität in Architektur und Stadtplanung ist eng mit der Kultur der Vergabeverfahren verbunden. Insbesondere mit Skizzenverfahren sammelte die IBA bei ihren Projekten und Vorhaben positive Erfahrungen.
Business as usual bei Wettbewerben in Deutschland
Will man die Vorteile der Skizzenverfahren erklären, so bedarf es eines Exkurses zu Architekturwettbewerben im Allgemeinen. Eine faire Auftragsvergabe, wie es die EU für die öffentliche Hand vorschreibt, ist für Kreativleistungen eine Herausforderung. Es soll nicht nur das günstigste Angebot den Zuschlag erhalten, sondern die beste Idee soll zum Zuge kommen. Daher haben sich in den kreativen Berufen Wettbewerbe oder Pitches etabliert. Für die Planungsleistungen in Architektur, Stadtplanung oder Landschaftsarchitektur hat das zuständige Bundesministerium im Jahr 2013 Richtlinie für Planungswettbewerbe herausgegeben. Private Auftraggeber können von ihnen abweichen, da sie nicht an die Regeln gebunden sind.
Offene Wettbewerbe
In offenen Wettbewerben können sich gerade junge Architekten bei interessanten Planungsaufgaben bewähren. Hier gelten die niedrigsten Zugangsschwellen. Es reicht die Berufsberechtigung im Herkunftsland, um teilnehmen zu können. Im Vordergrund steht der Entwurf, in den Hintergrund treten Renommee und Prestige der Büros. So zeigt ein offener Wettbewerb die Vielfalt an Lösungsansätzen. Aus diesen kann eine Jury den bestmöglichen und passendsten auswählen.
Bei attraktiven Aufgaben kann das Teilnehmerfeld sehr groß sein, was die Jurierung und die Wettbewerbslogistik aufwändig macht. Der Aufwand ist auch für die Teilnehmenden groß. Sie investieren für einen Wettbewerbsbeitrag mehrere hundert Stunden. Da aber immer weniger Wettbewerbe ausgeschrieben werden, steigt die Anzahl der Teilnehmer und die Chance auf einen Gewinn wird dadurch geringer. Das kann dazu führen, dass die Beiträge nicht die erwartete Qualität erreichen.
Offene Wettbewerbe hat die IBA’27 in Salach für das Gemeinschaftshaus, in Winnenden und in Uhingen durchgeführt. In diesen Wettbewerben reichten jeweils etwa dreißig Teams Beiträge ein. In allen Verfahren haben junge deutsche Büros gewonnen, die es in einem konventionellen Verfahren kaum auf eine Einladungsliste geschafft hätten.
Mit einem zweistufigen Verfahren bei offenen Wettbewerben reduziert sich der Aufwand für die Verfahrensorganisation und die teilnehmenden Teams. Die Anforderungen im ersten Schritt sind nicht so komplex und die Jury wählt aus den Arbeiten eine festgelegte Anzahl an Konzepten aus, die das größte Potenzial versprechen. Diese werden erst in der zweiten Stufe weiterentwickelt und im Detail ausgearbeitet. Einen zweistufigen offenen Wettbewerb als Format wählte die IBA’27 zum Beispiel für das IBA-Projekt Quartier der Generationen in Schorndorf.
Nicht offene Wettbewerbe
Das in der Region Stuttgart am häufigsten gewählte Verfahren ist der nicht offene Wettbewerb. Private Investorinnen und Genossenschaften führen diesen häufig als Einladungswettbewerb durch. Eine beschränkte Zahl von Teams, meist weniger als zehn, werden zur Abgabe von Entwürfen eingeladen. Die Bewertung durch eine Jury erfolgt ebenfalls anonym. Die Ausloberin hat bei diesem Verfahren die Sicherheit, dass nur Teams, die sie kennt und mit denen sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen kann, mit der Weiterbearbeitung beaufrtragt werden. Daraus ergibt sich gleichzeitig der größte Nachteil. Es besteht die Gefahr, dass immer die gleichen Büros eingeladen werden und ein geschlossenes System entsteht. Das Verfahren entspricht nicht den europäischen Vergaberichtlinien, da es nicht für alle Bewerbenden offen ist. Bei Ausschreibungen, bei denen dieses greift, wird deshalb eine Mischform gewählt und Kriterien für die Teilnahme definiert. Diese können etwa Erfahrung mit vergleichbaren Bauaufgaben, Bürogröße und Sozialstandards sein. Einzelne Teilnehmende, die diesen Bedingungen entsprechen, werden gesetzt. Das weitere Teilnehmerfeld wird nach einer offenen Ausschreibung aufgrund der Qualifikation ausgewählt. Bei gleicher Qualifikation kann das Los entscheiden. Kleinere und jüngere Büros scheitern bei diesem Verfahren trotzdem, da sie nicht über die entsprechenden Referenzen verfügen.
Skizzenverfahren: Ideenreichtum, Kompetenz und Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort
Die IBA’27 ist angetreten, möglichst schlanke und offene Verfahren durchzuführen und jungen und internationalen Talenten eine Chance in den Wettbewerben zu bieten. Das von der IBA entwickelte Skizzenverfahren kann sowohl in zweistufigen Verfahren als auch bei nicht offenen Wettbewerben angewandt werden. Beim zweistufigen Verfahren ersetzt die Ideenskizze die erste Stufe, beim nicht offenen Wettbewerb die Referenzbewerbung. Das Skizzenverfahren reduziert für die Teilnehmenden den Aufwand erheblich. Den Ausloberinnen gibt es ein Bild der Motivation und des Zugangs der Bewerber zur Aufgabe. Die Anforderungen sind bewusst offen formuliert. Das anonyme Skizzenverfahren stellt sicher, dass allein Ideenreichtum, Kompetenz und Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort für die Auswahl der Teilnehmerinnen ausschlaggebend sind.
Erste Erfahrungen mit dem Skizzenverfahren
Die IBA’27 sammelte bereits gute Erfahrungen mit dem Skizzenverfahren in ihren Projekten. Die Stadt Backnang und die Genossenschaften Neues Heim und Zuffenhausen beschritten gemeinsam mit der IBA’27 mit Skizzenverfahren beim Städtebauwettbewerb neue Wege. Gerade läuft ein Wettbewerb mit vorgeschaltetem Skizzenverfahren für das Krankenhausareal in Sindelfingen, den die Stadt Sindelfingen in Kooperation mit der IBA auslobte.
Vielfältiger und internationaler Pool an Teilnehmenden in Backnang
Der weltweite Aufruf, sich mit einer Skizze für die Teilnahme am Wettbewerb zum Quartier Backnang West zu bewerben, war von Erfolg gekrönt. 110 Büros unter anderem aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Chile, Kolumbien, Polen, Kanada, den USA und der Schweiz reichten Skizzen ein. Dabei waren etablierte Planungsfirmen mit mehreren hundert Mitarbeitern, vor allem aber junge und kleinere Büros. Letztere sollten ebenso eine Chance an der Teilnahme an großen internationalen Wettbewerbsverfahren erhalten, weshalb keine Referenzen gefordert wurden. Die Einreichungen hatten unterschiedlichste Formate: Zeichnungen, erste Planentwürfe, Comics und Geschichten, wie der neue Stadtteil im Jahr 2050 aussehen könnte. Anhand der Skizzen beurteilte die Jury, mit welcher Kreativität und Fachkenntnis sich die Bewerberinnen der Fragestellung und dem Planungsgebiet näherten. Mit dem Skizzenverfahren ist es gelungen, vielversprechende Büros aus der ganzen Welt für die anstehende Planungsaufgabe in Backnang zu gewinnen.
Im zweiten Schritt des Verfahrens maßen sich die ausgewählten Büros mit einer kleinen Anzahl gesetzter Büros. Am Ende landete der Entwurf des Büros Teleinternetcafe Architektur und Urbanismus aus Berlin zusammen mit Treibhaus Landschaftsarchitektur aus Hamburg und den Verkehrsplanern Buro Happold auf dem ersten Platz. Die Arbeitsgemeinschaft hatte sich über das Skizzenverfahren qualifiziert und konnte sich durchsetzen. Ihr Konzept sieht ein produktives und lebenswertes Stadtviertel vor, mit hoher Dichte, in sozialer Vielfalt und mit einer zukunftsfähigen Nutzungsmischung – ein »Quartier für alle(s)«. Seither arbeiten die Planerinnen und Planer gemeinsam mit der Stadt Backnang und der IBA’27 die Pläne weiter aus. 2022 zeichnete der Bund das Quartier Backnang West als Nationales Projekt des Städtebaus aus und unterstützt das Projekt mit drei Millionen Euro. Die Förderung bestätigt, dass der Wettbewerb vielversprechende, innovative Pläne hervorbrachte.
Genossenschaftlicher Bestand mit Skizzenverfahren fit für die Zukunft machen
In Stuttgart Rot bauen die Genossenschaften Neues Heim und Zuffenhausen ein neues Quartier für ihre Mieterinnen und Mieter. Auf dem Grundstück, auf dem einst die ersten Wohnungen der Genossenschaften gebaut wurden, entsteht ein zukunftsweisendes Quartier. Dabei möchten die Baugenossenschaften Wohnraum schaffen, der möglichst vielen Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen gerecht wird, sowie Gemeinschaft und Begegnung fördert.
Für diese komplexe Aufgabe schrieben die beiden Genossenschaften gemeinsam mit der IBA’27 einen nichtoffenen städtebaulichen Realisierungswettbewerb mit Hochbauteil aus. Der erste Schritt des Verfahrens war, wie bereits in Backnang erprobt, eine Skizzenbewerbung. Zusätzlich zu vier vorab gesetzten Büros wählte die Jury so elf weitere Teilnehmende aus.
Beim Skizzenverfahren wurden nicht etwa Ideen für die zukünftige Bebauung, abgefragt, sondern die Haltung der sich bewerbenden Büros zu genossenschaftlichem Wohnungsbau. Auf den Aufruf meldeten sich über 100 Arbeitsgemeinschaften aus dem In- und Ausland und zeigten ihre Gedanken dazu unter anderem mit Wimmelbildern, Lyrik und Moodboards.
Das Skizzenverfahren verlangt nicht nur von den Teilnehmenden »Out-of-the-box« zu denken, sondern auch von der Jury und den Auloberinnen. Durch die Vielfalt der Formate ist die Bewertung herausfordernd. Trotz der unterschiedlichen Ansätze zeigte sich deutlich, wer bereit ist, die Genossenschaften mit dem neuen Quartier in die Zukunft zu führen.
Aus dem darauffolgenden Wettbewerb gingen als Erstplatzierte das Architekturbüro ISSS Research Architecture Urbanism aus Berlin zusammen mit dem Büro für Landschaftsarchitektur topo*grafik aus Marseille hervor. Sie hatten sich für das Verfahren über ihre Skizze qualifiziert. Ihr Entwurf gab für den weiteren Prozess den städtebaulichen Rahmen des Projekts vor. Mit dem Hochbau beauftragten die Genossenschaften sowohl die Gewinner als auch die beiden zweitplatzierten Büros, die als gesetzte Büros am Wettbewerb teilgenommen hatten. So wird das Quartier von vier Büros konzipiert, die über den gesamten Zeitraum in einem intensiven Austausch – nicht nur untereinander und mit den Auftraggeberinnen, sondern auch mit einem Beratungsgremium aus externen Expertinnen stehen. In diesem anspruchsvollen, vielversprechenden dialogischen Prozess können ganz neue Qualitäten für das Quartier entwickelt werden. Gerade werden die alten Gebäude abgerissen, bis 2027 soll das neue Quartier in Rot stehen.
Skizzenverfahren Sindelfingen: Vom Krankenhaus zum Quartier
Auch für die Konversion des Sindelfinger Krankenhauses entschied sich die Stadt Sindelfingen gemeinsam mit der IBA für ein Skizzenverfahren. Denn die Aufgabe ist komplex: Wie gelingt es, ein altes Krankenhaus mitten im Wald zu einem Quartier umzugestalten? Wie können in alten Bettenhäusern und OP-Sälen künftig bis zu 3.000 Menschen arbeiten und leben? Eine Jury wählte aus den eingereichten Skizzen zehn Büros aus, die sich für den städtebaulichen Wettbewerb qualifizierten. Neben gesetzten Büros erarbeiten sie Lösungen für die Umgestaltung des Krankenhausareals. Stadt und IBA erhoffen sich kreative Lösungen, die mutig Neues wagen und bereit sind, über den Tellerrand zu blicken.
Welchen Mehrwert bieten Skizzenverfahren?
Skizzenverfahren bewährten sich bisher für die IBA und die Ausloberinnen. Die Ergebnisse zeigen, dass es sich lohnt, möglichst viele unterschiedliche Büros mit einem Wettbewerb anzusprechen. Die jungen und internationalen Impulse bereichern den Städtebau und die Architektur in der Region Stuttgart und tragen dazu bei, sie zukunftssicherer zu machen. Auch über die IBA hinaus kann das Verfahren einen erheblichen Mehrwert bei Planungswettbewerben generieren und dazu beitragen, Wettbewerbe sowohl für Teilnehmende als auch Auslobende attraktiver zu machen. Die Erfahrungen mit den Verfahren bei der IBA konnten die Ängste und Vorbehalte entkräften, eine Skizze sei ein untaugliches und unsicheres Instrument der Qualitätssicherung bei der Auswahl. Bei allen Skizzenverfahren zeigten sich die Qualitäten und das Engagement der Teilnehmenden. Die gesetzten Teams konnten sich bei der Preisverteilung nicht von den per Skizzenqualifikation eingeladenen Teams abheben. Im Gegenteil: Es gelang, engagierte und kompetente Teams aus verschiedenen Ländern für IBA-Projekte in der Region Stuttgart zu begeistern, sowohl per Skizze als auch auf Einladung.