Neuland – Künstliche Inseln für die Stadt
»NEULAND – künstliche Inseln für die Stadt« war das Entwurfsthema im Wintersemester 2014/15 am Lehrstuhl für Nachhaltigkeit, Baukonstruktion und Entwerfen an der Universität Stuttgart.
Die Themen Wasser, Wasserbau und Bauen am Wasser scheinen in Stuttgart – im Vergleich zu anderen Städten – kaum zu existieren. Der einstige Nesenbach wurde im Stadtgebiet zum Hauptsammler der Mischwasserkanalisation umfunktioniert und unter die Erde gelegt. Die Uferbereiche des Neckar werden im Stuttgarter Norden kaum genutzt, obwohl sie in den letzten Jahren in mehreren Bereichen renaturiert wurden. Während andernorts Initiativen entstehen, die das Baden in
innerstädtischen Bereichen der Flüsse wieder ermöglichen, verweilt der Neckar in Stuttgart in einem Dornröschenschlaf. Die schlechte Wassergüte trägt zusätzlich dazu bei, dass sich der Neckar mit seinen möglichen Qualitäten der Wahrnehmung als Lebensraum entzieht. Wir wollen Neuland für Stuttgart erschließen und gleichzeitig Prototypen erstellen, welche die Wasserqualität des Neckars potenziell verbessern, damit der Fluss als Lebensraum wiederentdeckt werden kann.
Nach Starkregenereignissen in städtischen Gebieten kommt es zu extremen Verschmutzungen von Flüssen. Ursache dafür sind Einleitungen von Abwasser aus der Mischkanalisation der anliegenden Städte und Gemeinden. Wenn bei starkem Niederschlag die Kapazität der Kanalisation erschöpft ist, wird Mischwasser ungeklärt in die Flüsse geleitet. Unmittelbare Folge ist die abrupte Verschlechterung der Wasserqualität, Beschädigungen von Flora und Fauna als Einzelereignisse, aber auch Schäden mit Langzeitfolgen. Auch für den Unkundigen sind diese Folgen
nach Starkregenereignissen durch ein sichtlich erhöhtes Fischsterben erlebbar, dass jedoch in der Bevölkerung meistens unbeachtet bleiben.
Wasser als Lebensraum ist in der Wahrnehmung der meisten »Stadtmenschen« nur unzureichend im Bewusstsein verankert. Um die negativen Konsequenzen nach Starkregenereignissen bei Mischwasserkanalisationen zu reduzieren, hat die Firma Luritec aus Berlin von Ralf Steeg ein Pilotprojekt in Form großer Tanks in der Spree installiert. Diese sind in der Lage, überlaufendes Schmutzwasser bei Starkregen zwischen zu speichern. Erst nach der Entspannung der Lage in der
Mischwasserkanalisation wird dieses Wasser wieder in die Kanalisation rückgeführt und so den Klärwerken zugeleitet. Die Überlauffunktion und die Einleitung des Schmutzwassers in den Fluss kann somit verhindert werden.
Das in Berlin erprobte technische System soll an verschiedenen Standorten im Neckar weiterentwickelt werden. Die Lage der Speichertanks wird durch die Positionen der Regenüberläufe im Neckar definiert;
hier entstehen künstliche »Inseln« deren Freiflächen einer Nutzung zugeführt werden sollen. Durch den Verkauf der Nutzungsrechte der Pontons werden die technischen Anlagen zur Verbesserung der Wasserqualität mitfinanziert. Hier setzen die Studentenarbeiten an: Welche Art der Nutzung kann auf diesem gewonnenen Neuland angesiedelt werden und lassen sich Synergieeffekte aus dieser Mischform eines wassertechnischen Bauwerks und einer emotional aufgeladenen Nutzung des Stadtgewässers realisieren? Ist der naturschützende Effekt einer solchen künstlichen Baumaßnahme als qualitätsvoller und »naturnaher«
Erlebnisraum darstellbar?
Leitung des Projekts: Prof. Jens Ludloff
Wissenschaftliche Mitarbeit:
Lisa Fritz, Ulrich Kölle, Wulf Kramer
Kooperationspartner:
- Walter Braun, Leiter des Wasser- und Schiffartsamts Stuttgart
- Dr. Ulrich Dittmer, Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA)
- Thomas Herrmann, Architekt, Vorsitzender der Kammergruppe Ost
- Ralf Steeg, Landschaftsplaner und Geschäftsführer der Firma Luritec
- Prof. Antje Stockman, Institut für Landschaftsplanung und Ökologie, Universität Stuttgart