Ekstase am Fluss: Ideen und Inspiration für die Flussregion
Die Flussregion Stuttgart wurde gefeiert – und das gleich doppelt. Am 13. und 14. September lud die IBA’27 zusammen mit dem Verband Region Stuttgart zur Fachtagung und zum Neckarfest, um die Flüsse in der Region Stuttgart ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Denn mit der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert veränderte sich das Verhältnis zu den Gewässern auch hierzulande drastisch. Begradigungen, Schleusen, Stauwehre und Kanalisierungen machten sie nutzbar und boten den umliegenden Städten Schutz vor Hochwasser. Oft ging dabei ihre natürliche Dynamik verloren, und vielerorts wurde aus den lebhaften Fließgewässern schnurgerade Straßen, dominiert von Siedlungen, industriellen Anlagen und Kraftwerken.
Prof. Simon Hartmann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hielt die Keynote zur »Wiedererfindung der Flüsse« und betonte dabei die Notwendigkeit, Wasserläufe in urbanen Räumen neu zu denken – als Orte des Lebens, der Erholung und der Bewegung. Welche Ideen es für die Zukunft des Neckars in der Region Stuttgart gibt? Das zeigten die Preisträgerinnen und Preisträger des Nachwuchswettbewerbs »Reclaim the River!«, der in Kooperation mit der Wüstenrot Stiftung in diesem Jahr erstmals ausgeschrieben wurde. Der Wettbewerb machte deutlich, dass es an guten Ideen und Visionen für die Rückeroberung der Flüsse in der Region Stuttgart nicht mangelt. Die beiden ersten Preise haben auf unterschiedlichen Maßstabsebenen schlüssige und durchdachte Lösungen erarbeitet, wie die Menschen den Neckar wieder für Sport und Freizeit nutzen können. Wie sie Wirklichkeit werden können? Darüber diskutierten die Preisträger:innen mit Planerinnen, Jurymitgliedern und dem Publikum. Gute Aussichten zeigten sich in der Diskussion für das Mombachbädle, das das Architekturbüro Schürmann+Witry beim Wettbewerb einreichte. Das geplante Flussbad, das mit dem Wasser der Mombachquelle gespeist wird, sahen viele Beteiligte als realisierbar. Nun gilt es, Allianzen zu schmieden und die Idee weiter voranzubringen. Die ebenfalls mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit »Big Y« von Floris Duquesnoy und Simeon von Russow geht von einer umfassenden Renaturierung des Neckars zwischen Bad Cannstatt und Obertürkheim aus. Sie schlagen vor, durch eine künstliche Insel einen renaturierten Flussbereich zu schaffen, der von der Schifffahrtsstraße getrennt ist. Die Idee begeisterte das Publikum und die Entscheidungsträger:innen, weil der Neckar so wieder seine ursprüngliche Schönheit zurückgewinnt, ohne seine Funktion als Schifffahrtsstraße zu verlieren.
Am 13. September begann die Fachtagung mit Vorträgen über gelungene Flusstransformationen aus Städten wie Wien, München, Leipzig und Basel. Ingo Kanehl vom Büro ASTOC sorgte mit seiner Keynote zur Renaissance der Emscher im Ruhrgebiet für besondere Aufmerksamkeit. Die Emscher, einst als »Kloake des Ruhrgebiets« bekannt, wurde in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich renaturiert und in einen belebten Flussraum umgestaltet. Dies diente als eindrucksvolles Beispiel dafür, wie auch stark belastete Flussräume wieder zu lebenswerten Orten werden können. In den darauffolgenden Impulsvorträgen und Diskussionsrunden standen vor allem Fragen im Vordergrund, wie Flüsse in städtischen Regionen als Bewegungs- und Erholungsräume besser genutzt werden können. Dabei wurde deutlich, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Institutionen, Planerinnen und Bürgern der Schlüssel zu einer nachhaltigen Flusstransformation ist.
Am Nachmittag widmeten sich die Teilnehmenden in verschiedenen Workshops fünf konkreten Projektideen aus der Region Stuttgart. Hier standen Themen wie Flussrenaturierung, Freizeitnutzung und Hochwasserschutz im Fokus. Die engagierten Diskussionen zeigten einmal mehr, wie groß das Potenzial für die Flüsse der Region als naturnahe Bewegungs- und Freizeiträume ist.
Den Abschluss der Tagung bildete das öffentliche Neckarfest – leider bei kaltem Septemberregen. Auf dem Pumptrack, bei der Hafenrundfahrt, der Führung durchs Wasserkraftwerk und mit großen Plänen für die Flussregion Stuttgart konnten die wenigen unerschrockenen Bürger:innen das Areal um die Inselstraße am Neckar neu erleben.
Nun gibt es nur noch zu sagen: Auf geht es Region Stuttgart, ran an den Neckar, gute Ideen umsetzen!
Thea Leisinger / IBA’27-Team