Blinde Flecken einer Industrieregion
Gewerbegebiete gelten unter Archilovern nicht als besonders instagrammable. Auch der sonntägliche Familienausflug führt, wenn überhaupt, höchstens zum Tag der offenen Tür ins blechkistenverstellte Industriegebiet draußen vor der Stadt. Is ja auch schmutzig da. Doch weil die Produktion längst nicht mehr so viel Lärm und Dreck ausstößt wie noch vor Jahrzehnten, weil eine rigide trennende Planung vielerorts zu einem katastrophalen Siedlungsbrei geführt hat (der noch dazu unendliche Pendlerströme produziert), weil Gewerbegebiete schon rein flächenmäßig eine unfassbar große Ressource darstellen (rund 75.000 Hektar allein in Baden-Württemberg) und die Landesregierung den Flächenverbrauch bis 2035 auf Netto-Null senken will, rücken die einst großzügig ausgewiesenen Areale zunehmend in den Blick der Planerinnen und Planer. Die 2020 verabschiedete Charta von Leipzig plädiert (wie auch die IBA’27) für die nutzungsgemischte Produktive Stadt, das deutsche Planungsrecht erfand tollkühn das »Urbane Gebiet«, in dem Gewerbe und Wohnen sich ziemlich unverfroren mischen dürfen. Dessen Umsetzung aus dem Bestand heraus würde freilich bedeuten, Dinge anders zu machen als gewohnt, dabei lieb gewordene Geschäftsmodelle zu überwinden und womöglich sogar mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Huch?
Also geht das, aus ungestalten, fragmentierten und unternutzten Orten attraktive Stadträume zu machen? Und wo wendet dann der LKW?
Anlässlich der sehenswerten Wanderausstellung »Wir bauen BW – Baukultur in Baden-Württemberg gestern, heute und morgen«, die noch bis 12. April im Fellbacher Rathaus gastiert, und dem vor Ort bearbeiteten IBA-Projekt »Agriculture meets Manufacturing«, diskutierte am vergangenen Donnerstag eine Runde aus Vertreterinnen und Vertretern des Landes, der Kommune, der Fellbacher Gewerbetreibenden, des BDA und der IBA’27 über »Vergessene Stadträume – Baukultur im Gewerbegebiet?«
Dabei wurde nicht nur deutlich, dass Architektur und Unternehmen sich hierzulande noch viel zu oft auf dem Feld einer fassadenhaften »Signature Architecture« missverstehen, statt ernsthaft die räumlichen Qualitäten von gewerblich genutzten Gebäuden zu verhandeln – und zu bauen.
Klar wurde auch, dass es zielgerichtete Förderung durch Bund und Land und eine starke Kommune braucht, um die Entwicklung mit strategisch klugen Maßnahmen und einem langfristigen Quartiersmanagement anzuleiten. Fellbach hat sich, wie Dr. Markus Müller vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen als Fazit formulierte, aufgemacht, ein dickes Brett zu bohren. Gut so, findet auch die IBA.
Warum eine Region, die ihre produzierenden Unternehmen stolz vor sich herträgt und noch dazu händeringend Gewerbeflächen sucht, sich mit auf Kooperation und Austausch basierenden baulichen Lösungen allerdings so schwer tut, böte ausreichend Stoff für weitere Diskussionen. Vielleicht könnte dann der eine oder andere Zaun einer Gemeinschaftsfläche weichen?
Markus Bauer / IBA’27-Team