Position der IBA’27
IBA’27 zu Zeitenwende, Immobilienkrise und Chancen für die Bauwirtschaft
Offener Brief von Karin Lang und Andreas Hofer
Steigende Baupreise und eine unsichere weitere Entwicklung, fehlende Materialien und Fachkräfte, eine Verdreifachung der Kapitalzinsen in kurzer Zeit stellen viele Bauprojekte aktuell in Frage. Das Ausmaß der veränderten Rahmenbedingungen gefährdet die Bauwirtschaft als Ganzes – insbesondere Bauträger, die bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen. Dass die EnBW Energie Baden-Württemberg AG ihr IBA’27-Projekt »Der neue Stöckach« vor dem Hintergrund der immobilienwirtschaftlichen Rahmenbedingungen pausiert, hat für viel Verunsicherung in der IBA-Gemeinschaft gesorgt. Bauträger stellen die Frage, ob sie sich ihre Projekte unter den aktuellen Umständen noch leisten können. Die interessierte Öffentlichkeit und die Trägerschaft der IBA’27 fragen besorgt, ob das Ausstellungsjahr 2027 noch ein Erfolg werden kann – und die IBA nicht nur Pläne, sondern auch gebaute Projekte zeigen kann.
Die IBA’27 ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit
Die Verwerfungen auf dem Immobilienmarkt sind auch eine Folge von verschiedenen Finanzkrisen und einer lang anhaltenden Phase extrem niedriger Zinsen. Dazu kommen die Energiewende und die nicht voraussehbaren Folgen der Corona-Pandemie und des gewalttätigen Überfalls der Ukraine durch Russland. Die vielfältige Krise kann jetzt nicht in kleine Häppchen aufgeteilt und weit in eine Zukunft vertagt werden, die uns vielleicht nicht mehr betrifft. Ressourcenknappheit, sozialer Zusammenhalt, der Abschied von fossilen Rohstoffen liegen zusammen auf dem Tisch und fordern beherztes Handeln. Gerade eine IBA kann hier ein wichtiges Instrument sein, um verfügbares Wissen in Projekte zu bündeln und in Zusammenarbeit und im Austausch zwischen den Projektpartnerinnen erfolgreiche Strategien zu entwickeln.
Dabei haben die IBA’27-Projekte beste Voraussetzungen. Die meisten sind große Projekte im Quartiermaßstab. Hier lassen sich Synergien nutzen, Wege kurz halten, effiziente Energiesysteme einsetzen und auf knapper Fläche viel Raum schaffen. Wenn günstige Flächen gebraucht werden, sind Flächeneffizienz, Kompaktheit und eine rationelle Bauweise der einzige Weg. Das baurechtliche Instrument »Urbanes Gebiet« gibt seit seiner Einführung 2017 dafür den Rahmen. Da viele Kommunen dieses Instrument zum ersten Mal einsetzen, vermittelt die IBA’27 Erfahrungen und Expertenwissen. Überdies setzt sich die IBA’27 in Gremien von Land und Bund für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen ein und weist auf Umsetzungsprobleme hin.
Es wird weitergehen
Die Schocks der vergangenen Monate haben die Baubranche erschüttert. Die Politik muss handeln. Es ist unvorstellbar, dass eine so wichtige Branche wie die Bauwirtschaft in einer existenziellen Krise fallen gelassen wird. Dabei wird sich die IBA’27 für nachhaltiges und soziales Handeln einsetzen. Neben möglichen Fördermaßnahmen müssen auch Diskussionen über eine neue Gemeinnützigkeit und die Eindämmung der Bodenspekulation geführt werden.
Die EnBW ist ein Spezialfall
Auslöser dieses Briefes ist die Verlautbarung der EnBW, ihr Projekt »Der neue Stöckach« unter den aktuellen finanziellen Rahmenbedingungen nicht realisieren zu können. Das Projekt wird nicht abgebrochen, sondern bis zur Baureife weitergeplant und unter den dann aktuellen Bedingungen beurteilt. Die EnBW hat für ihr Großprojekt einen sorgfältigen partizipativen Prozess durchgeführt und sich anspruchsvolle Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Weder diese Ziele noch Anforderungen der IBA’27 spielen für die wirtschaftlichen Betrachtungen eine Rolle. Im Gegensatz zu anderen Projektträgern steht die EnBW aber vor einer doppelten Herausforderung: Neben der Entwicklung von Quartieren stehen in ihrem Kerngeschäft der Energieversorgung dringliche und kapital- intensive Projekte an. Die Mitteilung der EnBW ist somit auch ein Signal, dass sie ihren Beitrag zur Energiewende leisten will und dafür bereit ist, Prioritäten zu setzen. Dies macht den Stöckach zu einem Spezialfall, der auf andere Projekte nicht übertragbar ist.
Wir freuen uns über die Vielzahl erfolgversprechender IBA-Projekte. Bauen ist immer mit Risiken verbunden und die aktuelle Zeit ist herausfordernd. Aber war das 1927 nicht ähnlich? Kurz nach dem Ersten Weltkrieg und der Hyperinflation, in turbulenten politischen Zeiten war der Weissenhof ein wegweisendes und internationales Projekt, das den Wohnungsbau in den Folgejahren weit über die Region Stuttgart hinaus inspirierte. Dies stimmt uns zuversichtlich und motiviert uns jeden Tag, uns für die IBA’27-Projekte einzusetzen.
Karin Lang
Geschäftsführerin / CFO
Andreas Hofer
Intendant / Geschäftsführer