Podiumsdiskussion / Mitschnitt
Gemeinschaftliche Wohnprojekte – Vorbilder auf dem Weg aus der Wohnungskrise?
Gemeinschaftliche Wohnformen spielen in vielen Projekten der IBA’27 eine wichtige Rolle. Etablierte Wohnbaugenossenschaften reagieren mit der Planung von Clusterwohnungen und gemeinsam genutzter Quartiersinfrastruktur auf den demographischen Wandel, eine vielfältiger gewordene Nachfrage und Erneuerungsbedarf in ihren Beständen. Zeitgleich formieren sich gemeinschaftliche Initiativen, um den sich häufenden sozialen, ökologischen und ökonomischen Krisen in resilienteren Formen des Zusammenlebens zu begegnen. Sie organisieren sich im Mietshäuser-Syndikat oder als neue Genossenschaften. Mit Unterstützung der IBA’27 realisieren sie ihre ersten Projekte.
Darüber steht die IBA im Austausch mit einer Vielzahl von Gruppen, die sich für neue Wohnformen und -projekte engagieren, berät und vernetzt diese. Kern der Diskussion ist stets die Frage, wie das Wohnangebot in der Region Stuttgart quantitativ breiter und qualitativ besser werden kann. Erfreulicherweise entstehen hierbei Partnerschaften zwischen traditionellen Genossenschaften, regionalen Wohnbaugesellschaften und neuen Initiativen.
Podiumsdiskussion im Stuttgarter StadtPalais
Die Einladung zur Veranstaltung: »Gemeinschaftliche Wohnprojekte – Vorbilder auf dem Weg aus der Wohnungskrise?« am 22.11.23 fand vor diesem Hintergrund statt. 150 Vertreter:innen von Wohnbauinitiativen, Behörden, Fachleute und interessierte Bürger:innen waren ihr ins Stadtpalais – Museum für Stuttgart gefolgt.
Axel Burkhardt, städtischer Beauftragter für Wohnraum und barrierefreies Bauen und Gunnar Laufer-Stark, Vorstand der Nestbau AG, berichteten über ihre Erfahrungen aus Tübingen. Sowohl von stadtpolitischer Seite wie auch aufgrund der Forderungen von Initiativen wendet sich die Universitätsstadt nach Jahren der Pionierarbeit durch Baugruppenprojekte inzwischen stärker wohnungsstrukturellen Fragen zu. Flächen werden knapp, das wirtschaftliche Umfeld ist anspruchsvoll. Die Stadt Tübingen hat auf diese Herausforderungen mit der Gründung einer Dachgenossenschaft reagiert, die Projekte unterstützen kann und bereits mehrere vom Scheitern bedrohte Projekte in ihr Portfolio übernahm, um sie realisieren zu können. Gunnar Laufer-Stark gründete mit der Nestbau im Jahr 2010 eine gemeinwohlorientierte Aktiengesellschaft, die das Kapital von Klein- und Kleinstanlegern bündelt, um bezahlbare Mietwohnungen zu bauen. Gunnar Laufer-Stark sprach vom enormen Privatvermögen in Deutschland, von dem nur ein Bruchteil für den Bau guter Wohnungen aktiviert werden müsse. Die Bürger-AG Nestbau hat rund 500 Aktionär:innen, deren Anlagen maßvoll verzinst werden und vermietet rund 4.000 Quadratmeter Fläche. Auch Laufer-Stark musste aber zugeben, dass im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld Projekte nur schwer zu realisieren sind.
Michael Kunert, der die Kontaktstelle für Baugemeinschaften der Stadt Stuttgart leitet und in dieser Rolle das Olga-Areal in Stuttgart-West als komplexes Projekt mit vielen Gruppen begleitete, bestätigte die Tendenz zu neuen Genossenschaften. Der Stuttgarter Gemeinderat habe mit wichtigen Entscheidungen zu neuen Erbpacht-Konditionen und Konzeptvergaben die Weichen richtig gestellt. Aktuell stelle sich aber auch hier die Frage, ob bezahlbarer Wohnraum überhaupt noch darstellbar sei.
Der Architekt Rainer Hofmann (Bogevischs Buero) hat pionierhafte Projekte wie das viel publizierte »WagnisART« der Münchner Wagnis eG begleitet. Zurzeit arbeitet Hofmann gemeinsam mit über 60 Genoss:innen am ersten, ambitionierten Mischnutzungsprojekt der neu gegründeten Genossenschaft »Das große kleine Haus« im Münchner Kreativquartier. Hier eröffneten sich Chancen, wenn Standards in Frage gestellt werden und Synergien zwischen Nutzungen den Flächenverbrauch reduzieren. Die Themen Standards, Regulation und Suffizienz seien, so Hofmann, der Schlüssel für neue ökonomische Modelle.
Maximilian Schuster, Projektentwickler der Strabag Real Estate, bestätigte dieses Potential. Die Immobilienwirtschaft befriedigte lange Zeit steigende Ansprüche und stosse jetzt an die Grenzen. In den Zwängen etablierter Wertschöpfungsketten sei es aber sehr schwer, die Frage nach Standards oder Suffizienz zu stellen. Es fehle die Endnutzerin als Ansprechperson. Standardabweichungen öffneten, so Schuster, das Tor für Klagen. Die Strabag Real Estate sieht aber Potentiale bei der Reduzierung des individuellen Flächenverbrauchs und ist offen für neue flächensparende Wohnformen wie Clusterwohnungen und temporäres Wohnen.
Diesen Ball nahm Marco Gölz vom Wohnprojekt AlWo1, Alternatives Wohnen Esslingen, gerne auf. In diesem Projekt des Mietshäusersyndikats bestehe die Möglichkeit, Standards radikal in Frage zu stellen und gemeinsam zu vereinbaren. Das spare nicht nur Kosten, sondern stärke darüber hinaus auch die Gemeinschaft im Projekt. Es könne, so Gölz, nicht sein, dass Menschen heute zufrieden in Altbauwohnungen lebten, die in keiner Art und Weise mehr aktuellen Normen entsprechen. Um dann mit Neubauprojekten zu scheitern, weil diese Normen das Bauen unerschwinglich machen.
Das (vorläufige) Fazit der Diskussion: Die gegenwärtigen Entwicklungen zwingen dazu, den Wohnungsbau grundsätzlich neu zu denken. Dabei sind gemeinschaftliche Modelle gute Testprojekte, um Standards neu zu definieren und den sozialen Herausforderungen zu begegnen. Darüber hinaus braucht nachhaltiger Wohnungsbau dringend neue Finanzierungsmodelle, Abschreibungszyklen und Lebensdauerbetrachtungen. Vorerst können Solidarität, das Teilen von Ressourcen und die Mobilisierung von Kapital mit neuen Darlehensformen helfen, um die Krise zu lindern. Beispielsweise könnte, wie in Dänemark, ein Wohnbaufonds eingerichtet werden, der – von erfolgreichen Projekten langfristig getragen – Neugründungen vorübergehend stützt. Ein »Syndikats-Modell auf Steroiden«, wie Podiumsteilnehmer Axel Burkhardt es auf den Begriff brachte. Die klassische deutsche Förderpolitik, bei der Sozialwohnungen nach einer Frist aus der Bindung auf den freien Markt fallen, sichert zwar die Erträge der Investoren, nicht aber dauerhaft günstige Mieten. Mittelfristig braucht es im Wohnungsbau daher institutionell eine neue Gemeinwohlorientierung.
Die gesamte Diskussion können Sie hier nachhören: