Workshop
Die richtige Mischung
Das IBA’27-Projekt »Produktives Stadtquartier« in Winnenden hat die ersten Hürden genommen. Darüber, wie es weitergehen kann, fand Anfang Juni ein Workshop statt. Die Chancen für ein neues, gemischtes Quartier in unmittelbarer Nähe zur S-Bahn stehen gut. Nun gilt es, die richtigen Partner zu finden.
Im Februar 2021 hatte das Büro JOTT architecture und urbanism aus Frankfurt am Main den Wettbewerb für das »Produktives Stadtquartier« in Winnenden gewonnen. Das Team, inzwischen ergänzt um die Fachplaner urbanegestalt, BrennerPlan, Kurz und Fischer sowie Bolz + Palmer, hat in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Winnenden und den Projektverantwortlichen der IBA’27 inzwischen die Rahmenplanung abgeschlossen. Ab 2023 sollen Grundstücke mittels Konzeptvergaben, in denen Entwickler ihre konkreten Vorschlägen zur Nutzung, Architektur und Umsetzung darlegen, vergeben werden.
Zuvor werden in weiteren Schritten eine vertiefend ausgearbeitete Typologiestudie sowie ein Gestaltungshandbuch erstellt. Eine Machbarkeitsstudie ist in Vorbereitung, die u. a. mögliche Akteure zu ihrer Einschätzung befragen wird. Es sollen Erwartungen und Vorbehalte unter Entscheidern, Investoren und Gewerbetreibenden ebenso ermittelt werden wie konkrete Strukturen des Managements und der Steuerung des weiteren Prozesses dargestellt werden.
Das Projekt befindet sich nun in der entscheidenden Phase, in der möglichst konkret geklärt werden muss, wie das ambitionierte IBA-Projekt mit Leben gefüllt werden kann, wie Interessent:innen gewonnen und begeistert werden können, um das Areal zu entwickeln, wie Nutzer:innen gefunden werden können, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Das neue Quartier an der Grenze zur Landschaft soll in den Bestand aus landwirtschaftlicher und gewerblicher Nutzung eingewoben werden, gleichzeitig geht es darum, das städtische Gefüge plausibel zu erweitern. Im Austausch zwischen Stadtverwaltung, Planenden und der Strategiegruppe Neue Arbeitswelten der Architektenkammer Baden-Württemberg wurden hierzu im Workshop Anfang Juni die wichtigsten Fragen herausgearbeitet und die nächsten Schritte diskutiert.
Raum für Wohnen, Arbeiten und mehr
Doch zunächst zurück zum Entwurf. Dieser hatte eine Struktur aus Clustern vorgeschlagen, aus größeren Einheiten, die in unterschiedlichen Verhältnissen und unterschiedlichen Dichten Wohnen, Produktion, Werkstätten, Landwirtschaft, Labore und Büros mischen. Die Mischung selbst wird in Abhängigkeit von der Lage festgelegt: Zur direkt benachbarten S-Bahnstation sind Wohnanteile und Büronutzungen höher und die Cluster dichter, zur Landschaft hin nimmt die Dichte leicht ab und der Anteil gewerblicher Nutzung steigt. Dennoch bleibt in allen Clustern die Dichte hoch, verglichen mit üblichen Bebauungen in ähnlichen Lagen: Über das ganze Quartier gesehen ist eine Geschossflächenzahl von 1,8 vorgesehen, die aber vereinzelt auf über 2 steigen soll. Danke einer doppelten Orientierung, die die gewerblichen Nutzungen nach innen, zu den Werkhöfen, das Wohnen nach außen, zur Nachbarschaft, zur Landschaft und zum Ort öffnet, werden mögliche Konflikte minimiert.
Insgesamt sind 225 Wohneinheiten und knapp 40.000 Quadratmeter an gewerblicher Nutzung vorgesehen. Dank einer Erschließung von außen und zwei Quartiersgaragen wird der Verkehr im Inneren des neuen Quartiers reduziert, so dass das System aus Gassen und kleinen Plätzen seine Qualität als öffentlicher Raum entfalten kann. Felder zwischen den Clustern können landwirtschaftlich genutzt werden und dabei auch Pachtstreifen für Selbstversorgung und Bereiche für solidarische Landwirtschaft SoLaWI bieten. Nachbarschaftsdecks schaffen Orte für die Begegnung und den Austausch, Mobilitätszentralen vernetzen die Angebote zukunftsfähiger Mobilität. So verspricht der Entwurf ein Quartier, das sich der üblichen Trennung zwischen Wohnen und Gewerbe entzieht und dadurch an Lebendigkeit und Qualität gewinnt, zumal auch Nutzungen sozialer Infrastruktur wie eine Kita geplant sind.
Die Herausforderung für den weiteren Prozess wird nun darin bestehen, die Struktur des Marktes und das Modell der gemischten Nutzung miteinander zu vereinbaren, denn der Markt ist vor allem von der Entwicklerseite durch eine sektorale Trennung geprägt: Die meisten Entwickler sind auf Wohn- oder Gewerbebau fokussiert – eine Situation, wie die in Winnenden entspricht meistens nicht den Routinen.
Die Wirklichkeit von heute
Für die weitere Entwicklung wird es deswegen darauf ankommen, auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig zu arbeiten und einen iterativen Prozess zu initiieren, der zwischen zwei Ansätzen wechselt: Der eine geht vom Angebot aus, das hier gemacht werden kann, der andere richtet sich auf die Personen und Institutionen, für die das Gebiet interessant sein könnte. Es geht also zum einen darum, das Angebot für mögliche Nutzer:innen zu vermitteln, zum anderen diejenigen zu finden, die das Quartier beleben und die dessen Ausrichtung mittragen können. Es müssen sowohl mögliche Entwickler und Betreiber als auch die potenziellen Nutzer:innen gefunden und gewonnen werden. Zum anderen gilt es, sowohl von den Möglichkeiten des Quartiers zu erzählen, wie auch auf die Bedarfe derer zu hören, die sich für dieses Quartier entscheiden könnten.
So kompliziert das klingen mag, so gibt es auf der anderen Seite große Chancen. Die Gemeinde ist im Besitz einiger Flächen auf dem Gebiet und kann damit die Entwicklung steuern. Zudem steht der Gemeinderat hinter dem Projekt. Das größte Potenzial aber besteht darin, dass sich in der Lebens- und Arbeitswelt vieler Menschen mehr geändert hat, als die von Routinen geprägte Alltagswelt der Gebietsentwicklungen widerspiegelt. In vielen Lebensmodellen der Menschen ist das Arbeiten und Wohnen enger miteinander verflochten als noch vor einigen Jahren, die Lebensmodelle sind schon lange nicht mehr von der traditionellen Kleinfamilie allein geprägt, es haben sich dritte Bereiche des Lebens zwischen dem Privaten und dem Arbeiten ausgebildet und neu justiert, die sinnstiftende Funktionen übernehmen. Das betrifft sowohl das Engagement für das Gemeinwohl als auch neue Möglichkeiten für die Landwirtschaft. Anteilige Selbstversorgung und Unterstützung ökologischer Produktionsweisen haben einen festen Platz gefunden.
Es gilt also zu vermitteln, dass das, was hier entstehen kann, die Wirklichkeit von heute abbildet. Hier wird sich etwas intensivieren, was den Ort bereits jetzt ausmacht: Die produktive Mischung aus Gewerbe und Freiraum, aus engagierten und zuverlässigen Menschen, aus der innovativen Kraft der Unternehmen und traditioneller Bindung, aus Produktion und Dienstleistung, Daseinsvorsorge und neuem Wohnen. Die Mischung aus all dem wird Mehrwerte schaffen, von denen alle profitieren: seien es Räume zur Erholung, seien es die Angebote der Mobilitätszentralen oder die zur Begegnung unter Nachbar:innen, sei es eine Kita oder Angebote sozialer Träger, Qualitäten, die dem Quartier die sich unter dem Begriff des Gemeinwohls fassen lassen. Dass es wichtig ist, konkret in den Inhalten und den Formen zu werden, darin war sich die Runde einig, da nur so die Potenziale der Entwicklung des neuen Quartiers deutlich werden und Menschen begeistert werden können. Es könnte deswegen eine Option sein, Projekt und Prozess ineinander übergehen zulassen: einen Teil des Feldes bereits voranzutreiben, um die Qualitäten sichtbar werden zu lassen und mit diesem »Testballon« die Erfahrungen zu sammeln, die bei der weiteren Entwicklung wertvoll sein können.