01.04.22
Interview

Die neue Einfachheit: »So wenig Material wie möglich verbauen«

Interview mit Stephan Keinath (Mitglied des Vorstands der Ed. Züblin AG), Karin Lang und Andreas Hofer (Geschäftsführung der IBA’27 GmbH)

Herr Keinath: Züblin und Strabag sind Hauptförderer der IBA’27. Warum engagieren Sie sich bei der IBA?

Stephan Keinath: Wir sind eines der größten Bauunternehmen in Europa. Als wir von der Internationalen Bauausstellung hörten, war für uns schnell klar: Da möchten wir uns engagieren! Nicht selten entsteht bei Bauausstellungen etwas so Zukunftsweisendes, wie 1927 die Weissenhofsiedlung. Wir freuen uns, solche Projekte mitzugestalten. Ich bin sehr gespannt, was uns, was Ihnen, was den anderen Beteiligten einfällt. Ein weiterer Grund für unsere Beteiligung: Die Baubranche kämpft seit Jahren mit ihrem Image – anders als in der Nachkriegszeit, da war die Bauindustrie eine hoch angesehene Industrie. Wir müssen gerade die jungen Menschen wieder für das Bauen begeistern, für Architektur, für das Bauingenieurwesen. Unsere Branche liefert einen wichtigen Beitrag für die Welt und die Gesellschaft von morgen. Wie wollen wir heute und zukünftig leben, arbeiten, uns fortbewegen? Damit sind immense Bauaufgaben verbunden, das alles muss geplant und gebaut werden.

Was versprechen Sie sich von der IBA?

Keinath: Die IBA ist eine wichtige Impulsgeberin für nachhaltigeres Bauen. Das Thema steht auch in unserer Branche mittlerweile im Fokus und nimmt weiter Fahrt auf. Es stellen sich sehr viele Fragen. Um ein Beispiel zu nennen: Wie viele CO2-Emissionen entstehen bei der Herstellung und im gesamten Lebenszyklus von Bauwerken? Wir beschäftigen uns viel mit Holz, mit neuen Baustoffen – und auch mit Kreislaufwirtschaft. Da steht die Branche allerdings erst am Anfang, da muss noch viel passieren. Die IBA ist eine tolle Möglichkeit, hier Impulse zu setzen.

Karin Lang, Andreas Hofer: was verspricht sich die IBA im Gegenzug von der Partnerschaft mit Strabag/Züblin?

Andreas Hofer: Ich würde es sehr ähnlich formulieren, wie Herr Keinath eben: Wir spüren alle, dass wir an einem Wendepunkt stehen, es aber nicht so richtig vorwärts geht. Die Widerstände sind groß und es ist offensichtlich, dass wir in Deutschland ein großes Regulationsproblem haben, das merken wir jeden Tag. Da hilft nur der Schulterschluss von allen, die guten Willens sind. Gerade ein großer Konzern wie Strabag/Züblin spielt dabei eine zentrale Rolle.

Karin Lang: Wir müssen Allianzen bilden und gegenseitig von den Kompetenzen profitieren. Uns alle beschäftigen ähnliche Themen, von Kreislaufwirtschaft, CO2-Reduzierung bis zu neuen Bauprozessen und Digitalisierung. Das sind auch Themen der IBA, und ohne starke Partner werden wir viele Dinge in der uns zur Verfügung stehenden Zeit nicht ins Rollen bringen. Die fünf Jahre, die noch bis zu unserem Präsentationsjahr bleiben, sind eine sehr kurze Zeit. Umso mehr brauchen wir Partner, die mutig mit uns Dinge ausprobieren und ganz bewusst neue Wege gehen.

Herr Keinath sprach vorhin vom Image und dem Beitrag der Bauwirtschaft für die Gesellschaft. Was muss sich ändern?

Hofer: Ich habe als Kind noch diesen Ingenieurstolz miterlebt – gerade, wenn ich an die großen Infrastrukturen in der Schweiz denke, Staudämme und solche Dinge. Die Wahrnehmung war: Die Bauwirtschaft schafft für die Gesellschaft den Lebensraum der Zukunft. Wir stehen heute vor der schwierigen Aufgabe, den Lebensraum für kommende Generationen zu schaffen, die in einer völlig anderen Welt leben werden. Dafür stellen wir jetzt die Weichen – und dafür braucht es eine gesellschaftliche Neudefinition des Bauens. Wir erleben einerseits gerade einen riesigen Bauboom, befördert durch niedrige Zinsen und internationales Kapital. Dabei entstehen aber viele Häuser, die sind eher Excel-Tabellen und kein Beitrag zur Gesellschaft.

Keinath: Die Branche ist in den vergangenen 30 Jahren nicht gerade sparsam mit dem Baumaterial umgegangen, eher im Gegenteil. Wenn man sich dahingegen in die 1950er-Jahre zurückversetzt, da gab es wenig Material und es wurde sehr darauf geachtet, so wenig wie möglich zu verbauen. Allein durch eine Rückbesinnung darauf könnten wir deutlich besser werden. Oft sind es auch die Baunormen, die riesige Materialmengen verlangen: Im Stahlbetonbau beispielsweise rechnen wir immer noch mit Sicherheitspuffern, die wir mit modernen Materialien schon längst nicht mehr bräuchten. Das ist vielleicht eine der größten Verschwendungen.

Zusätzlich müssen wir die Chancen der Digitalisierung noch stärker einsetzen: Wenn wir es schaffen, mit digitalen Methoden Gebäude und Baustellen vor dem Baustart tatsächlich bis ins kleinste Detail zu planen, könnte uns das beim Ressourceneinsatz deutlich weiterbringen. Die IBA kann den zusätzlichen Impuls liefern, den es braucht, um die Player aus den unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen – aus der Politik, Planendende, Bauschaffende, aus den Bauunternehmen.

Weniger Material im Neubau einzusetzen, ist sicher ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Welche Rolle spielen denn bei Strabag/Züblin Themen wie der Erhalt von grauer Energie und Umbau?

Keinath: Wir bauen auch im Bestand, schon immer. Das hatte bisher meistens eher praktische Gründe. Es wächst jetzt aber ein Bewusstsein dafür, dass man schon allein dadurch große Mengen CO2 reduzieren kann, wenn man einen Rohbau stehen lässt und den schon verbauten Beton und Stahl weiternutzt. Es wird sicher nicht bei jedem Projekt etwas erhalten bleiben können, manchmal ist das einfach unwirtschaftlich. Aber wir müssen uns grundsätzlich immer überlegen: Was passt zu diesem konkreten Gebäude, wie kann es genutzt werden, kann man es dafür umbauen? Dafür braucht es ein Umdenken in der Auftraggeberschaft, in der Politik, in der Gesellschaft sowie bei den Nutzerinnen und Nutzern. Das macht es aber auch so schwierig, weil es viele Beteiligte und dementsprechend viele unterschiedliche Interessen gibt.

Lang: Auch dafür bietet sich ja die IBA als Plattform an, für einen gemeinsamen Lernprozess mit vielen Akteurinnen: Im interdisziplinären Austausch anhand von konkreten IBA-Projekten neue Wege zu gehen, die dann hoffentlich erfolgreich sind, über die Ausstellung international sichtbar werden und damit in die Breite kommen. Das wäre unser Ziel.

Im Immobilienboom der letzten Jahre sind die Kosten des Wohnens explodiert. Herr Keinath, was kann aus Ihrer Sicht die Bauwirtschaft an dieser Stelle tun?

Keinath: Da gibt es sicher viele Stellschrauben. Das modulare Bauen zum Beispiel spielt eine große Rolle, Standardisierung und vielleicht auch Vereinfachung. Gerade in Deutschland heben wir die Standards immer weiter an, es wird immer noch mal etwas drauf gepackt. Ja, auch wir wollen einen hochwertigen Wohnungsbau; aber stört es wirklich, wenn eine Elektroleitung auch mal auf Putz verlegt wird? Vielleicht ist das sogar schick? Oder ist es richtig, heute noch Häuser mit 25 Zentimetern Dämmstoff einzupacken? Bei der Herstellung dieser Dämmstoffe entstehen Emissionen. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir künftig viel mehr regenerative Energien einsetzen, muss man schon fragen: Macht der Einsatz von so viel teurem Material und dem damit verbundenen CO2-Ausstoß Sinn oder muss man da umdenken?

… weniger ist mehr: ist das die Antwort auf der Suche nach günstigerem Wohnraum?

Hofer: Das ist sicher ein wichtiger Teil der Antwort. Ich glaube, dass es aber auch etwas mit Typologien, mit Architektur zu tun hat. Der aktuelle Wohnungsbau hat zwar einen hohen Standard, die Grundrisse sind aber sehr schematisch, die Gebäudestrukturen meist komplett zementiert und damit nicht mehr anpassbar an künftige Anforderungen. Und dann steht das Ganze noch auf einer riesigen, teuer gebauten Tiefgarage irgendwo auf dem Acker. Mein Eindruck ist: Wir produzieren gerade Gebäudebestände, die in 20 Jahren vielleicht niemand mehr haben will. Beim Schaffen von günstigem Wohnraum müssen wir also auch über Architektur reden. Durch robuste Grundstrukturen, die eine andere Raumaufteilung erlauben, bekommen wir eine hohe Lebensdauer und damit eine ganz andere Wirtschaftlichkeit: Alle Rechnungen sehen anders aus, wenn ich mein Haus auf 100 Jahre abschreibe, dann spielt der Herstellungspreis nur noch eine geringe Rolle. Wir müssen aufhören, noch das letzte Viertel Prozent aus dem Herstellungspreis rauszudrücken, sondern über Lebenszyklen reden und damit verbundene andere Investitionsmodelle.

Keinath: Das ist so – und schon jetzt sichtbar: Das, was wir in den 70er-Jahren gebaut haben, das will heute keiner mehr. Da passen die Grundrisse nicht mehr und der Aufwand, etwas Neues reinzubringen, ist bei den heutigen ökonomischen Grundlagen meist so hoch, dass es schlicht nicht geht. Bisher ist es Teil der Kalkulation, dass viele Gebäude nach 30, 40 Jahren zurückgebaut werden. Das müssen wir ändern und dafür wahrscheinlich die Dinge, die schädlich sind, teurer machen, beispielsweise mit einer CO2-Bepreisung. Dann werden neue und kreative Lösungen gefragter und aus einem Bürogebäude wird ein Hotel oder ein Wohnhaus … und das rechnet sich dann.

Herr Keinath: Welche Rolle sehen Sie für Strabag/Züblin auf dem Weg der Bauwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit, welches sind die Stellschrauben, an denen Sie als Unternehmen konkret drehen können?

Keinath: Als großer Baukonzern hat Strabag/Züblin einen großen Einfluss. Wir sehen uns daher in der Pflicht, immer ein paar Schritte vorauszugehen – durchaus auch im Bewusstsein, dass sich die eine oder andere Investition vielleicht nicht sofort rechnet. Diese Investitionen sind aber wichtig für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder und wahrscheinlich am Ende auch wirtschaftlich der richtige Weg. Im Strabag-Konzern gestalten und entwickeln wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie stetig weiter und konkretisieren sie in vielen Punkten. Als integriertes Bauunternehmen können wir viele Themen sehr konkret anpacken. Wir sind bei einigen Projekten in allen Phasen dabei, von der ersten Idee und dem Entwurf bis zur Umsetzung auf der Baustelle und dem Betrieb.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Keinath: Ein wichtiger Punkt ist beispielsweise die Bilanzierung der Grundlagen. Bisher ist bei vielen einzelnen Faktoren des Planens und Bauens nicht klar darstellbar, welche Auswirkungen sie haben. Wir wollen daher an einen Punkt kommen, für unsere Kundinnen und Kunden die Auswirkungen einzelner Maßnahmen genau zu bilanzieren. Unser Ziel ist es, genau aufzeigen zu können: Wenn das so und so gebaut wird, entstehen die und die Emissionen, und wenn wir an jener Stelle etwas verändern, können wir bei dem Projekt soundso viel Tonnen CO2 reduzieren. Damit schaffen wir wichtige Entscheidungsgrundlagen. Braucht es zum Beispiel wirklich die zweigeschossige Tiefgarage – oder ist es vielleicht sinnvoller, im Quartier ein Parkhaus zu bauen? Bei solchen Fragen können wir sehr gut unterstützen, denn dazu braucht es das komplette Portfolio eines Baukonzerns.

Am Ende braucht es einen gesellschaftlichen Konsens – und das ist eine große Aufgabe, allein schon, weil es so viele Akteurinnen und Akteure gibt. Da schließt sich für mich der Kreis: Um ein Bewusstsein zu schaffen, um diese Themen zu kommunizieren, zu diskutieren, die Leute abzuholen, dafür brauchen wir die IBA.

Wenn wir jetzt noch ins Jahr 2037 schauen, zehn Jahre nach der IBA: Wie bauen wir dann?

Lang: Ich denke, dass es dann einen starken Bewusstseinswandel gegeben hat, dass wir nachhaltiger mit Materialien umgehen und fragen, was wirklich erforderlich ist. Vielleicht ist das Ziel genau die von Herrn Keinath vorhin beschriebene neue Einfachheit – also eben nicht das mit Technik durchdeklinierte Smart Home, sondern die technische Ausrüstung von Gebäuden eher wieder etwas reduzieren und sich aufs Wesentliche besinnen.

Keinath: Ich hoffe, dass wir bis 2037 deutlich zirkulärer und sortenreiner bauen, dass wir die Materialien, die wir der Erde entnehmen, auch nach einem Rückbau wieder einsetzen können. Wir werden sicher stärker über die Nutzung von Altbeständen nachdenken. Vielleicht bauen wir auch leichter. Und hoffentlich sind dann viele Gebäude im Betrieb und in der Nutzung wirklich CO2-neutral. Ich befürchte, dass dafür der Zeithorizont 2037 leider realistisch ist, es früher nicht machbar ist. Und ich hoffe, dass wir 2037 endlich so weit sind, dass wir wirklich zuerst alles genau planen, uns mithilfe eines digitalen Gebäudezwillings über alles ausreichend Gedanken gemacht haben, bevor es ans Bauen geht. Damit werden wir schneller und effizienter.

Hofer: Ich habe zwar eine gewisse Skepsis gegenüber dem digitalen Zwilling. Aber so, wie Sie ihn gerade beschrieben haben, macht es sehr viel Sinn: dass wir künftig mittels digitaler Technologien über eine Welt reden können, bevor wir sie mit Tausenden von Tonnen Beton hingegossen haben. Ich könnte mir also vorstellen, dass der digitale Durchbruch, von dem wir schon sehr lange reden, in den nächsten Jahren wirklich passiert. Mit der IBA haben wir da offensichtlich einen guten Moment erwischt und vielleicht können wir mit den Ingenieurinnen und Ingenieuren, mit der Technologiekompetenz, mit den Unternehmen hier in der Region einen entscheidenden Schritt beitragen. Bei der Digitalisierung habe ich auch immer den Satz im Hinterkopf: »Betreten der Baustelle verboten – für alle!«. Vielleicht kommen wir bis 2037 ja dahin. Ob wir das wollen oder nicht, das ist nochmal eine andere Frage …

Keinath: 2037 werden wir sicher immer noch Menschen auf den Baustellen haben, das ist auch gut so. Aber ich bin schon überzeugt davon, dass auch im Bauwesen die Automatisierung vorankommen wird. Es ist gerade wirklich eine spannende Zeit: Meiner Beobachtung nach ist in den letzten fünf Jahren beim Bauen so viel Neues passiert, wie in den gesamten 25 Jahren davor. Die Transformation hat Schwung bekommen – und ich glaube, die IBA wird viel dazu beitragen, all diese Themen weiter zu beschleunigen. Dabei sind alle aufgefordert, mitzumachen.

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