Brenzkirche Stuttgart: Moderne Architektur begraben unter einem Satteldach
Im Stuttgarter Norden, in direkter Nachbarschaft zur Weissenhofsiedlung und Kunstakademie, steht die Brenzkirche. Unscheinbar wirkt sie, architektonisch nicht besonders ansprechend. Seit ihrem Bau in den 30er-Jahren wurden dem Gebäude Form, Gestalt und Würde genommen und bis heute nicht zurückgegeben. Der heutige Anblick schmerzt und beschämt. Im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut, wurde schon zum Ende der Weimarer Republik von Deutschnationalen und selbsternannten Heimatschützern massiv angefeindet. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde die Kirche nach Plänen von Rudolf Lempp umgebaut. Mit dem Argument, die Verstümmelung bezeuge die Durchsetzung einer »traditionellen Architekturvorstellung mit Staatsgewalt«, steht die Brenzkirche seit 1983 unter Denkmalschutz.
Eine Kirche im Bauhausstil
1930 gewinnt der Stuttgarter Architekt Alfred Daiber mit seinem Entwurf den ausgeschriebenen Wettbewerb zum Neubau der Brenzkirche. Er überabreitet den Entwurf zwei Mal, bevor die Kirche Anfang der 30er-Jahre gebaut wird. In der Formensprache orientiert sich das Gebäude an der benachbarten, 1927 fertiggestellten Weissenhofsiedlung. Statt auf Prunk setzt er auf einen zurückgenommenen Stil. Das Kirchengebäude besteht aus einem schmalen langgezogenen Hauptbau und einem etwas flacheren Baukörper, der auf der Südseite quer zum Kirchenteil steht. Das Raumprogramm ist innovativ: Der Kirchenraum ist im Obergeschoss des Hauptbaus. Zusätzlich bietet das Gebäude Platz für Gemeinderäume, Dienstwohnungen und Amtszimmer. Daibler konzipierte die Brenzkirche nicht nur als sakralen Ort, sondern als Begegnungsraum für die Gemeindemitglieder. Die Fassade war weiß und schlicht, Ecken wurden mit Rundungen ersetzt, große Fenster und Glasbänder strukturierten die Fassade. Der Glockenturm war eine offene Skelettkonstruktion, die Glocken hingen sichtbar an einem Balken – eine Kirche in den Formen des Neuen Bauens.
Nationalsozialismus: Zurück zum traditionellen Kirchenbau
Bei der Einweihung am 2. April 1933 ist Adolf Hitler bereits Reichskanzler, die Zeichen stehen auf drastischen Änderungen des politischen und gesellschaftlichen Klimas. Das formalistische Kirchengebäude spaltet auch die Meinung der Stuttgarterinnen und Stuttgarter. Die Presse berichtet kritisch und teils auch abfällig über den Bau. Nach nur sechs Jahren wird die Kirche umgebaut. Der Grund: in direkter Nachbarschaft der Brenzkirche findet 1939 die Reichsgartenschau statt. Kirchengebäude und Eingang zur Gartenschau sind nur wenige Meter voneinander entfernt. Die Stuttgarter Stadtverwaltung legte dem Verwaltungsausschuss der Gesamtkirchengemeinde Stuttgart bereits 1938 nahe, die Kirche in ihrem äußeren Erscheinungsbild zu verändern. Ihre architektonische Gestaltung lasse leider »in auffallendem Masse liberalistische Baugesinnung der verflossenen Systemzeit« erkennen. Die Kirchengemeinde kommt der Aufforderung nach und beauftragt 1938 Rudolf Lempp mit dem Umbau. Er ersetze das Flachdach durch Satteldächer, die großen Glasflächen durch kleinteilige Fenster und ließ die gerundete Fassade begradigen. Der Bau verliert auch seine schrägen, dem Treppenverlauf folgende Verglasung der Nordfassade. Statt des offenen Glockenturms erhält die Kirche einen klassischen Kirchturm, inklusive Wetterhahn. Lempps Umbauten beschränkt sich 1939 im Wesentlichen auf das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes. Statt Moderne verkörpert der Bau ab 1939 wieder die konservative Vorstellung eines Kirchengebäudes.
Die folgenden Kriegsjahre übersteht die Kirche nicht ohne Schaden. Bei Fliegerangriffen wird das Gebäude teilweise zerstört. Nach Kriegsende entscheidet sich der Kirchengemeinderat die Kirche nach überarbeiteten Plänen von Rudolf Lempp wiederaufbauen. Im Gegensatz zum Umbau von 1939 veränderte Lempp beim Wiederaufbau auch Elemente im Kirchenraum.
Brenzkirche – quo vadis?
Seit 1983 ist die Brenzkirche ein Kulturdenkmal. Das Landesdenkmalamt stellt die Kirche in ihrem Zustand aus den 80er-Jahren unter Schutz. Das Amt sieht die Überformungen während des Nationalsozialismus als erhaltenswert. An ihnen zeige sich der Kampf der Nationalsozialisten gegen die moderne Kunst. Dr. Ulrike Plate, Referatsleiterin Bau- und Kunstdenkmalpflege im Landesamt für Denkmalpflege, schreibt: »Das Besondere an diesem Bau ist heute vor allem sein Zeugniswert für eine Zeit, in der eine traditionelle Architekturvorstellung mit Staatsgewalt durchgesetzt werden konnte: für die Zeit der nationalsozialistischen Regierung, die auch die Gesinnung in der Stuttgarter Stadt- und Bauverwaltung bestimmte.«[1]
Im Februar 2017 hat die Kirchengemeinde ein Bauheft zur Brenzkirche herausgegeben. Neben einer detaillierten Aufarbeitung der Baugeschichte regt sie auch ein Weiterbauen an der Brenzkirche an. Statt in ein Denkmal gepresst, das in seinem Erscheinungsbild an die NS-Ideologie erinnert, soll das Kirchengebäude wieder Ort einer lebendigen Kirchengemeinde sein. Als Vorhaben im Netz der IBA’27 will sie diesem Ziel näherkommen. Im Spannungsfeld zwischen dem ursprünglichen, innovativen Entwurfsgedanken und der zeitgeschichtlichen, ideologisch erzwungenen Überformung gilt es nun gemeinsam, das Erscheinungsbild der Kirche neu zu gestalten, so die Idee. Die geschichtliche Entwicklung des Bauwerks soll innerhalb des zeitgemäßen Nutzungskonzepts sicht- und erlebbar bleiben. Am Beispiel der Brenzkirche kann exemplarisch der Umgang unserer Gesellschaft mit den baulichen Zeitzeugnissen des zwanzigsten Jahrhunderts geprüft und geschärft werden. Beim Ideenwettbewerb zum Weissenenhof ist die Brenzkirche Teil des Betrachtungsrahmens. Internationale Architekturbüros sind dazu aufgerufen, über die Zukunft der Weissenhofsiedlung gemeinsam mit der Akademie der Bildenden Künste und der Brenzkirche nachzudenken. Bei Symposium im Juni 2022 werden Expertinnen und Experten über die Ergebnisse des Wettbewerbs und die Zukunft der Siedlung sowie Kirche diskutieren.
Literatur und Quellen
Braun, Stephan (2019): Neue Brenzkirche – zurück zum alten Bauhaus? Die Stuttgarter Brenzkirche zwischen Denkmalschutz und Aufbruch, Evangelische Landeskirche in Württemberg. Online abrufbar: https://www.elk-wue.de/25062019-brenzkirche-zurueck-zum-bauhaus
Plate, Ulrike (2017): Die Brenzkirche in Stuttgart. Neues Bauen in Zeiten des Dritten Reichs, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Jg. 2, S. 136-142.
Schüler, Ute (1988): Die Brenzkirche am Weißenhof. Magisterarbeit am Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart (Prof. Dr. Heinrich Dilly). Online abrufbar: https://www.brenzkirche-stuttgart.de/archive/archiv/ute-schueler-magisterarbeit-ueber-die-brenzkirche
Lubitz, Jan et al. (2017): Die Brenzkirche, in: stuttgarter bauheft 01.
[1] Plate, Ulrike (2017): Die Brenzkirche in Stuttgart. Neues Bauen in Zeiten des Dritten Reichs, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Jg. 2, S. 136-142.