25.04.24
Stimmen zur IBA’27

Beteiligung braucht einen Ort

Die Internationale Bauausstellung StadtRegion Stuttgart gibt der koproduktiven Planungskultur Raum – Aber was kommt nach 2027?

von Hanna Noller

Internationale Bauausstellungen streben danach, innovative Lösungen für städtebauliche Herausforderungen zu finden und dabei verschiedene Akteur:innen einzubeziehen. Partizipative Stadtentwicklung, bei der lokale Initiativen und die Bevölkerung in den Gestaltungsprozess einbezogen werden, kann aber im Konflikt mit dem Anspruch einer Internationalen Bauausstellung stehen. In der StadtRegion Stuttgart gestalten sich Partizipationsprozesse noch komplexer als andernorts. Spätestens seit Stuttgart 21 hat die Bevölkerung angefangen, sich mit stadtrelevanten Themen auseinanderzusetzen und sich für Bauprojekte zu interessieren. Gefordert werden seitdem – im Sinne einer demokratischen Planungskultur – grundsätzlich offene, transparente und zugängliche Planungsprozesse, die allen Bürger:innen die Möglichkeit der Partizipation an Prozessen der Stadtentwicklung bieten.

»Die von der IBA gezielt entwickelten Beteiligungsformate zeichnen sich durch eine hohe gestalterische Qualität aus.«
Hanna Noller

Um dies leisten zu können, braucht es neue Institutionen und »Arenen« der Stadtentwicklung, die alle Beteiligten zusammenbringen.➀ Klassische Planungs- und Beteiligungsprozesse boten hierfür bisher nicht genügend Raum. In den letzten Jahren sind deshalb zahlreiche neue Formate entstanden, die diese Lücke schließen wollen: interaktive Ausstellungen, Reallabore, Möglichkeitsräume, Experimentierfelder und vieles mehr. Sie wirken als Vermittler zwischen Wissenschaft, Stadtverwaltung, Politik und Zivilgesellschaft und sind Inkubatoren für innovative Stadtentwicklung. Architektur und Stadtplanung werden hier erfahrbar gemacht, transparent dargestellt und interdisziplinär diskutiert. Diese Formate schaffen Raum für alle Beteiligten, maßstabsübergreifende Schnittstellen auszubilden, demokratische Planungsprozesse zu diskutieren und in Gang zu setzen. Dieses gemeinsame Auseinandersetzen hat das Potenzial, neue Anknüpfungspunkte zu finden, die nötig sind, um immer komplexer werdenden Planungsaufgaben zu begegnen.

Die IBA’27 StadtRegion Stuttgart ist in den letzten fünf Jahren selbst zu einer Arena für innovative und zukunftsorientierte Stadtentwicklung in Stuttgart geworden. Als Vermittlerin zwischen zahlreichen Akteur:innen in der StadtRegion, schließt sie die Lücke zwischen den Möglichkeiten klassischer Planungsprozesse und den Herausforderungen einer wachsenden Metropolregion. Die von der IBA dafür gezielt entwickelten Beteiligungsformate zeichnen sich durch eine hohe gestalterische Qualität aus, wodurch die Zugänglichkeit zu komplexen Themen erleichtert wird. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich in unterschiedlichen Maßstäben einzubringen, sei es durch Workshops, Foren, Festivals oder Online-Plattformen. Durch regelmäßige Kommunikation und Rückkopplung achtet die IBA darauf, dass die Stimmen und Perspektiven der Beteiligten gehört und berücksichtigt werden. Außerdem wird auf eine hohe Fachkompetenz Wert gelegt. Die Projekte und Initiativen werden von Expert:innen begleitet, die über umfassendes Wissen und Erfahrung in relevanten Fachgebieten verfügen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Ideen und Vorschläge der Beteiligten auf fundiertem Fachwissen basieren und realisierbar sind. Neben den Bürger:innen werden auch Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in den Beteiligungsprozess einbezogen. Dies ermöglicht eine koproduktive Zusammenarbeit und trägt dazu bei, dass die Ziele der IBA, 2027eine Ausstellung innovativer Lösungen für städtebauliche Herausforderungen zu zeigen, effektiv erreicht werden können.

»Wo gibt es in Zukunft Raum, um die Menschen aus Stadt und Region zusammenzubringen?«
Hanna Noller

Doch was kommt danach? Die Beteiligungsformate der IBA sind auf maximal zehn Jahre angelegt. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, finden sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten an wechselnden Orten statt. Um teilhaben zu können, sind die Akteur:innen gefordert, passgenau Zeit zu haben und stets gut informiert zu sein. Um die Veranstaltungen finden zu können, ist ein grundsätzliches Interesse und Ortskenntnis vonnöten. Die Ergebnisse der Planungsprozesse werden gut dokumentiert, sind bisher aber nur auf einer Website zugänglich. Die im Prozess entstandene koproduktive Planungskultur hat mit der IBA als Plattform zwar einen temporären Raum bekommen, aber sie hat keinen Ort, an dem sie bleiben und weiterentwickelt werden kann. Wo gibt es in Zukunft Raum, um die Menschen aus Stadt und Region zusammenzubringen? Wer fördert in Zukunft den Austausch zwischen den verschiedenen Perspektiven und vermittelt zwischen den teilweise gegensätzlichen Interessen? Wie könnte diese Errungenschaft, die Kultur des gemeinsamen Planens und Entwickelns, nachhaltig manifestiert und weiter ausgebaut werden?

Um Menschen nachhaltig in gestalterische Prozesse einzubeziehen, braucht es einen gebauten Ort, an dem das bereits Erreichte gesammelt, dokumentiert und nachvollziehbar aufbereitet wird. Einen Ort, an dem neue Ideen kooperativ erarbeitet werden können. Einen Ort, der zentral gelegen, barrierefrei erreichbar und kostenlos zugänglich für alle ist. Einen Ort, der inspiriert, an dem nicht nur geplant, sondern auch gelebt und Stadt gemeinsam gestaltet wird. Einen Ort, der spontan besucht werden kann, an dem ich mich entweder von Inhalten anregen lassen oder meinen eigenen kleinen Beitrag zu einer lebenswerten Stadt leisten kann. Einen Ort der Kunst und Kultur, der Bewegung und Begegnung, aber auch einen Ort der Daten und Fakten, die dabei helfen, langwierige Prozesse zu verstehen. Es braucht einen Ort, der koproduktiven Stadtgestaltung, einen Ort für demokratische Planungskultur.

Über die Autorin

Bild: Martin Lutz

Hannah Noller studierte Architektur an der HafenCity Universität Hamburg, der Mimar Sinan Üniversitesi Istanbul und an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Sie ist Dipl. Betriebswirtin (DH) und gelernte Schreinerin. Seit 2016 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre an verschiedenen Hochschulen tätig, aktuell arbeitet sie im Projekt Co_Living Campus an der TU Braunschweig. Sie ist Vorstand des gemeinnützigen Vereins Stadtlücken e.V., der städtische Leerstellen erforscht und durch Interventionen sichtbar macht. Seit 2023 untersucht sie im Rahmen ihrer Dissertation an der TU Braunschweig unter dem Arbeitstitel »Intermediäre Plattformen der Stadtentwicklung – Herausforderung an die Architektur einer demokratischen Planungskultur« digitalanaloge Räume öffentlicher Planungsplattformen, in denen stadtgesellschaftliche Koproduktion stattfindet.

Dieser Beitrag ist erschienen in unserem Reader »Stimmen zur Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart«.


Martin Sondermann, Sebastian Krätzig, Frank Othengrafen: Proteste in der Stadtentwicklung. Entstehung einer neuen Planungskultur? Unimagazin. Forschungsmagazin der Leibniz Universität Hannover. Räume im Wandel, Ausgabe Nr. 3/4, 2014, S. 44–47.

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