Replik von Andreas Hofer auf »Benztown Meltdown«
Aufforderung zum Experiment
Replik von IBA’27-Intendant Andreas Hofer auf »Benztown Meltdown« von David Kasparek (Marlowes vom 16. Oktober 2023)
Vom Gemeinderatsentscheid, in Stuttgart eine Werkbundausstellung durchzuführen, bis zur Eröffnung der Ausstellung auf dem Weissenhof im Sommer 1927 dauerte es – inklusive Bauzeit – genau ein Jahr. Dies war möglich, weil in schlanker Korrespondenz, ohne große Rücksprachen oder wettbewerbliche Verfahren der junge Mies van der Rohe weitgehend freie Hand für den Masterplan und die Auswahl der Kollegen erhielt, die Stadt Stuttgart die Finanzierung sicherstellte und versprach, was immer da entstehen wird, in ihren Wohnungsbestand zu übernehmen, und DIN noch deutscher Normenausschuss hieß und sich mit Maschinenbau und Papierformaten beschäftigte.
Die Verzweiflung über die zähen Prozesse beim Bauen waren sicher ein Grund, weshalb die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart ins Leben gerufen wurde. Ein Ausnahmezustand auf zehn Jahre sollte zu einem Feuerwerk an Ideen und mutigen Bauwerken führen, die der Welt im Ausstellungsjahr stolz zeigen, dass die kreative Energie der schwäbischen Metropole immer noch Spitzenleistungen hervorbringen kann, die mit den Pionieren vor hundert Jahren vergleichbar sind. Das IBA’27-Team unter meiner Leitung stürzte sich ab 2018 mit großer Begeisterung in die Aufgabe und wandte sich mit Verve auch dem Weissenhof zu. Bei der Großmutter der aktuellen IBA, die zum Ausstellungsjahr im internationalen Rampenlicht stehen wird, versammeln sich im kleinen Maßstab die Widersprüche der jüngeren Geschichte: die Wohnsiedlung mit den typischen Mängeln einer bautechnisch ambitionierten Moderne, der Hass der Nazis, der zur Verstümmelung der Brenzkirche und dem Verlust der Hälfte der Weissenhofsiedlung im Zweiten Weltkrieg führte, ein unsensibler Umgang in der Nachkriegszeit, bis die Siedlung 1958 unter Denkmalschutz gestellt wurde, was sie nicht vor weiteren fragwürdigen Umbauten bewahrte. Erst 2003 renovierte die Wüstenrot Stiftung das Doppelhaus von Le Corbusier und machte es als Museum der Öffentlichkeit zugänglich. Im Umfeld entstanden Neubauten, die trotz architektonischer Ambition dem Archipel der Ratlosigkeit weitere Inseln hinzugefügt haben. Abgesehen davon, dass die IBA dem Weissenhof für das Ausstellungsjahr mehr Würde geben wollte, schien der Moment günstig: die benachbarte Akademie hatte Ausbaupläne, die Brenzkirche braucht dringend eine Renovation, und die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft SWSG konnte 2018 die Weissenhofsiedlung und die Beamtensiedlung von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben kaufen – damit lag die Regie für den dauerhaften Erhalt nach Jahrzehnten wieder in städtischer Hand.
Die IBA diskutierte Entwicklungsstrategien, versammelte alle Akteure in Workshops und suchte den dritten Weg, der mit Respekt vor der wechselvollen Geschichte den Weissenhof und sein Umfeld in eine neue Beziehung bringen und für eine Zukunft als vielbesuchtes Monument und Wohn- und Lebensraum fit machen sollte. Unterschiedliche Zuständigkeiten, Grundeigentumsverhältnisse und Interessen bremsten die Euphorie. Dabei geriet der Hof der Akademie als potenzieller Ankunftspunkt und Gelenk in den Fokus. Darf man hier bauen, wenn ja: wer und wie groß? Es brauchte mehr als zwei Jahre, bis eine Auslobung für einen städtebaulichen Ideenwettbewerb stand, der zwar einen weiten Perimeter umfasste, die Spielräume in den Teilgebieten aber klein ließ. Wenigstens bestätigte sich der Eingangspunkt bei der Akademie als richtiger Ort für ein Besucher- und Informationszentrum (BIZ), und der erste Preis wagte hier ein kräftiges Volumen.
Die Zeit bis 2027 wurde langsam knapp. Dies war aber nicht der Grund für das anschließend gewählte Generalübernehmerverfahren zur Realisierung des BIZ. Ein Architekturwettbewerb – gerne experimentell, international und offen – hätte Entwürfe gebracht, die in den Mühlen der Machbarkeit, der Kostenkalkulation und der bautechnischen Zulassung aller Voraussicht nach gescheitert wären. Die Siedlung zum hundertjährigen Jubiläum 2007 des Werkbunds in München und das nach vierjähriger Planungszeit 2016 vom Stadtrat beerdigte Guggenheim-Museum in Helsinki waren abschreckende Beispiele. Die sequenzielle Bearbeitung von schöner Idee, Architektur, Tragwerk, Gebäudetechnik und Realisierung ist einer der größten Hemmschuhe für Innovation und Kostentreiber in der aktuellen Baupraxis. Wir brauchen integrierte Prozesse, die interdisziplinäre Kooperation, die gemeinsam getragene Verantwortung. War nicht die Zusammenarbeit zwischen Gestaltung und Industrie der Grund für den Werkbund?
Dass ein solches Vorhaben, übersetzt in eine vergaberechtkonforme Sprache des öffentlichen Beschaffungswesens, keinen schönen Text hervorbringt, war der Preis. Wer die Auslobung aber genau liest, stellt fest, dass ein beliebiges Mitglied im interdisziplinären Team die eingeforderten Referenzen nachweisen kann. Junge Architekturbüros ohne Realisierungserfahrung sind somit nicht ausgeschlossen, sie müssen aber Partnerschaften bilden. Das Programm ist offen, das Baubudget großzügig, das Auftragsversprechen konkret, der Zeitplan ambitioniert. Eine explizite Aufforderung zum Experiment, wie sie kein deutscher Wettbewerb der letzten Jahre formuliert hat.
Die IBA’27 hat die letzten Jahre mit unterschiedlichsten Verfahren erfolgreich Wettbewerbe durchgeführt. Dabei war ihr Anspruch immer groß und von der Verantwortung für die architektonische Qualität, Fairness der Verfahren und der Sorge um die gewaltigen Herausforderungen der Zeit geleitet. Diese können wir nur bewältigen, wenn wir auch bereit sind, uns von ständischem Dünkel und romantischen Vorstellungen einer vormodernen Künstlerarchitektur zu befreien.