Diskussionsbeitrag von Andreas Hofer
Bäume auf den Boden und der städtische Raum den Menschen!
»Stadtklima und Grünräume« ist 2020 das Jahresthema der IBA’27. Ein Diskussionsbeitrag von IBA-Intendant Andreas Hofer zu Klima, Stadt & Grün – und der Bedeutung öffentlicher Räume und städtischer Dichte bei der Anpassung an den Klimawandel.
Die Städte und die urbanen Regionen beeinflussen das Klima durch ihren Ausstoß von Treibhausgasen – und da mittlerweile ein größerer Teil der menschlichen Aktivität in ihnen stattfindet, tun sie dies in entscheidendem Maße. Urbaner Klimaschutz heißt also zuerst, die Bautätigkeit, die Mobilität, die Produktion und den Handel zu dekarbonisieren und nachhaltige Stoff- und Energiekreisläufe aufzubauen. Da der weltweite Bedarf an neuen Wohnungen bis zum Ende des Jahrhunderts bei ungefähr zwei Milliarden liegt, ist dies eine gewaltige Herausforderung in einem dynamisch wachsenden System.
Umgekehrt wirken sich Klimaveränderungen auf die Lebensqualität in Städten unmittelbar aus. Hohe Temperaturen, Starkregenereignisse und der steigende Meeresspiegel haben Auswirkungen auf die Lebensqualität, die Funktion der Infrastruktur und sie stellen im Extremfall die Bewohnbarkeit in Frage. Wenn uns das Stadtklima besorgt, reden wir also über Folgen städtischen Tuns – im Fußball heißt dies Eigentor. Deshalb färbt sich die Stadt nun grün: Häuser sollen grüne Fassaden bekommen, Gärten sollen Menschen in der Stadt mit der Natur versöhnen, Kaltluftströme sollen fließen, Stadt soll wieder Land werden.
In den siebziger Jahren gab es schon einmal eine Welle, Stadt und Architektur mit Natur zu versöhnen. Lichtdurchflutete Atrien, Einkaufszentren und Gemeindehäuser als Versammlungsplätze einer demokratischen Gesellschaft, die im Einklang mit der Natur lebt. Leere Waschbetontröge an Fassaden und zugepflasterte Kübel in Fußgängerpassagen, die als Antiterrorsperren dienen, sind letzte Relikte dieser Zeit.
Droht dem mit Bäumen und Buschwerk bepflanzten Hochhaus Bosco Verticale in Mailand des Architekten Stefano Boeri nicht ein ähnliches Schicksal? Hat es etwas mit ökologischem Bauen zu tun, wenn in einem an sich schon problematischen Hochhaus mit zusätzlicher Bautechnik und kostspieliger Fassadentechnik Luxusappartements mit horrenden Nebenkosten angeboten werden? Wie dauerhaft sind Häuser, die von spezialisierten Alpinisten gepflegt und gewartet werden müssen? Was passiert mit den aufwändigen Abdichtungen, Be- und Entwässerungen, wenn die Karawane der Architekturjournalisten und -fotografen weitergezogen ist? Es würde Jahrzehnte dauern, bis das künstliche Grün des Bosco Verticale die CO2-Emissionen der zusätzlich verbauten Materialien nur schon kompensiert hätte.
Die Stadt war nie grün, am wenigsten in den heißen Weltgegenden. Grün waren die Hängenden Gärten der Semiramis, die Parks des europäischen Adels, die Höfe persischer Herrscher. Grün war Luxus, die Städte waren grau, eng, behalfen sich in heißen Klimata mit passiven Beschattungsstrategien, mit cleverer Durchlüftung, mit massiven Wänden und kleinen, klug platzierten Öffnungen. Grün stimmt uns Menschen glücklich. Die Schönheit des städtischen Grüns hat aber mit seiner Kostbarkeit und dem sparsamen Einsatz zu tun, seien dies die für die Allgemeinheit ursprünglich nicht zugänglichen Gärten der Herrschaft, die Volksparks für die Massen oder Stadtbäume entlang der Straßen.
Besonders grotesk erscheint die technokratische Fassadenbegrünung angesichts der offensichtlichen Potenziale für mehr Grün und besseres Stadtklima auf Plätzen und Straßen. Tatsächlich spielen der Wasserkreislauf, die Beschattung und die Verdunstungskälte von Pflanzen für die Aufenthaltsqualität – wenn auch nicht das Klima – eine große Rolle. Aber hier geben wir dem Verkehr auf schwarzem Asphalt fast die Hälfte der Siedlungsfläche.
Allein die von Verbrennungsmotoren abgegebene Wärme ist in Stuttgart ungefähr gleich groß, wie die gesamte für die Gebäudeheizung eingesetzte Energie. Abgesehen davon ist der städtische Raum öffentlich und die Politik kann ihn gestalten. Es ist ungleich schwieriger, private Investoren zu kostspieligen und pflegeintensiven Maßnahmen an ihren Gebäuden zu bewegen. Selbst wenn jeder Neubau mit einer grünen Fassade ausgestattet würde, dauerte es Jahrzehnte bis spürbare Effekte entstehen. Diese Zeit haben wir nicht.
Die Stadt als kollektiver Raum wird sich in den nächsten Jahren auf der Ebene Null, dem Erdgeschoss neu erfinden müssen. Der Einzelhandel ist unter Druck, eine fragmentierte Gesellschaft findet sich immer weniger in kollektiven Einkaufs- und Massenerlebnissen. Aufenthaltsqualität, Durchlässigkeit und Zugänglichkeit sind Schlüssel auf diesem Weg. Eine großflächige Umgestaltung des öffentlichen Raums, eine Verbesserung der ästhetischen Qualität und gleichzeitig eine Ertüchtigung der Infrastruktur, beispielsweise um Wasser lokal zu versickern und zu speichern, steht an. Damit verbunden ist auch eine Stärkung des Wohnens in der Stadt. Monofunktionale Büro- und Einkaufsgebiete müssen durchmischter werden, mehr Menschen müssen in der Stadt wohnen. Damit wird der öffentliche Raum gern genutzter Freiraum, Begegnungsfläche und Bühne.
Die Moderne experimentierte intensiv mit anderen Konzepten, Fußgängerzonen wurden auf Sockel gelegt und vom Straßenraum getrennt, Einkaufs- und Erschließungsstraßen waren plötzlich im zehnten Geschoss, Dächer sollten zu Terrassen der Gemeinschaft werden. Dies hat nur selten funktioniert und häufig entwickelten sich die »abgehobenen« Funktionen des Kollektiven zu schwer kontrollierbaren sozialen Konfliktzonen.
Ein bisschen schematisch lässt sich die Aufgabe so zusammenfassen: Der Stadtboden als durchlässiger Raum gehört den Fußgängern, dem Wasser und den Bäumen. Die Fassaden sind die Gesichter der Häuser zu Straßen und Plätzen. Und die Dächer bieten Raum für Energiegewinnung, Moose, Flechten und Insekten.
Im Einzelfall kann und soll von diesem Schema abgewichen werden: Wenn eine Fassadenbegrünung einen urbanen Platz schmückt und Teil des Energiekonzepts eines Gebäudes ist, wenn ein öffentlicher Raum zum Gemeinschaftsgarten wird, wenn in einer extrem dichten Bebauung ein Dachgarten der Hausgemeinschaft einen geschützten, privaten Raum bietet.
Unser Credo als IBA’27 ist: Mut zur Stadt und zur urbanen Region!
Andreas Hofer, IBA’27-Intendant
Unser Credo als IBA’27 ist: Mut zur Stadt und zur urbanen Region! Wenn sie mit qualitätsvoller Dichte entsteht und wirklich Stadt sein darf, stärkt dies Landschaft, Gewässer und Wald im Umland. Wobei genau hier die großen Zukunftsaufgaben liegen. Um die Kernstädte sind in den vergangenen Jahrzehnten Zonen der metropolitanen Ambivalenz entstanden, Räume voller Lücken, abrupter Brüche: Verkehrsachsen zerschneiden Freiflächen, Parkplätze umgeben Gewerbehallen, Einfamilienhausgebiete wachsen an den Ortsrändern.
Die Diffamierung als »Peripherie« jedoch wertet diesen Lebensraum großer Teile der Bevölkerung ab. Noch hat er allerdings kein eigenes Selbstverständnis gefunden und es fehlen planerische Strategien für seine Gestaltung. Hier sind neue Ideen und eine vertiefte Auseinandersetzung mit Dichte und Freiraumqualität gefordert. Vielleicht führt diese Suche, die wir auch im Rahmen der IBA’27 vorantreiben, zu ganz neuen Typologien. Und allein aufgrund des Ausmaßes dieser Flächen liegen hier auch die größeren Potenziale für die Klimabeeinflussung und neue Formen der (urbanen) Landwirtschaft als in der dichten und kompakten Stadt.