01.08.24
Stimmen zur IBA’27

Stadt, Land, Fluss, Gewerbegebiet

Für die Transformation industriell genutzter Flächen kann die IBA’27 ein wichtiger Impulsgeber sein – Entscheidend sind Bodenpolitik und Planungsrecht

von Anke Karmann-Woessner und Heike Dederer

Spannend bleibt, wie sich die Schwerpunkte der Internationalen Bauausstellungen von 1979 bis heute verändert haben. Die IBAs haben sich als Instrument für die Architektur- bis zur Regionalentwicklung etabliert. Bestes Beispiel bleibt die IBA Emscher Park. Mit der Revitalisierung der industriellen Konversionsgebiete ist eine nachhaltige regionalplanerische und städtebauliche Umstrukturierung gelungen, die einer ganzen Region eine neue wirtschaftliche Perspektive eröffnet hat. Entscheidend waren hier der starke politische Wille, eine prozessorientierte Vorgehensweise und die Erweiterung auf die strukturellen und ökologischen Themen.

Die Handlungsdimensionen für eine Entwicklungspolitik im Sinn einer gerechten, grünen und produktiven Stadt haben sich grundlegend verändert, die fünf Prinzipien guter urbaner Governance machen die hohe Komplexität des stadtpolitischen Handelns deutlich.➀ Neben dem Klimawandel und der CO2-Problematik ist der Flächenverbrauch einer der stärksten Impulse, sich der bestehenden Gewerbegebiete im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung anzunehmen.

»Die Umsetzung steht und fällt mit der Mitwirkungsbereitschaft der Unternehmer. Die Bodenpolitik bleibt das zentrale Aufgabenfeld des konkreten Handelns.«
Anke Karmann-Woessner / Heike Dederer

Bei der Modernisierung von Gewerbegebieten stehen neben den sogenannten harten Standortfaktoren, wie Erschließungsqualität und regionaler oder innerstädtischer Erreichbarkeit, gerade auch die weichen Standortfaktoren, wie städtebauliche Gestaltung, Image oder der konkrete Branchenmix in einem Gebiet auf der Prüfliste. Auch die Qualitätssicherung im Bestand und die Aktivierung von Innenentwicklungspotenzialen werden dabei mehr und mehr zu Kernthemen. Dabei wird schnell klar, dass Gewerbe- und Mischnutzung sowie unwirtliche Brachflächen und überdimensionierte Verkehrs- und Parkierungsflächen eng miteinander verbunden sind. Zudem liegen die meisten Flächenpotenziale in der Hand privater Eigentümer. Die Umsetzung ressourcenoptimierender Maßnahmen steht und fällt daher in hohem Maße mit der Mitwirkungsbereitschaft der Unternehmer. Die Bodenpolitik bleibt das zentrale Aufgabenfeld des konkreten Handelns.

Dieser Themen hat sich die IBA’27 dankenswerterweise mit einer Vielzahl von Projekten angenommen. Beim Thema Wohnen und Arbeiten gehen die Planer zwar davon aus, dass sich die klassische Lärmproblematik dadurch auflöst, dass die neuen Produktionsformen leiser werden. Das ist für einen Großteil der Betriebe zwar richtig, lässt aber doch eine Vielzahl von Betrieben unberücksichtigt. Einen Hoffnungsschimmer zeigt die IBA auf, indem sie darauf hinweist, dass die Rückkehr der Produktion in die Stadt ein erweitertes Planungsrecht brauche. Wie dies aussehen müsste, geht aus den Projektdarstellungen jedoch noch nicht hervor. Hier sind wir auf die Ergebnisse und die Erfahrungsberichte der Projekte nach einer Umsetzungsphase gespannt.

Die Stadt Karlsruhe hat sich der Aufgabe mit dem Projekt »StriGeni – Strategische Innenentwicklung von Gewerbeflächen – nachhaltig und innovativ« gewidmet. Hier beabsichtigt Karlsruhe gesamtstädtisch Gebiet für Gebiet zu transformieren und in einen Zukunftsprozess zu überführen. Dabei gilt es, den öffentlichen Raum aktiver zu gestalten als bisher, ihn als Umfeld und Aufenthaltsbereich für den größten Teil des Tages der arbeitenden Bevölkerung sowie als Aushängeschild und Adresse der Firmen zu erkennen. Zudem sind die Unternehmen in dem Prozess mitzunehmen und intensiv in Richtung eines flächensparenden und klimagerechten Umgangs mit den zur Verfügung stehenden Flächen zu aktivieren. Innovative Projekte, wie sie in der IBA gezeigt werden, sind dabei sehr wichtig. Sie können Impulse für eigenes Handeln geben.

Die Sehnsucht nach dem Fluss ist eines der ehrgeizigsten Themen, mit Pilotprojekten und Experimenten die Transformierbarkeit des Flusses zu beweisen und seinen ökologischen Umbau weiter voranzutreiben.➁ Die wichtigste blaue Infrastruktur in der Region Stuttgart ist heute geprägt von industriellen Anlagen und einem fehlenden Zugang zum Neckar. Flächen für Ver- und Entsorgung, Sonderbauflächen und gewerbliche Bauflächen mit wichtigen Infrastruktureinrichtungen für die gesamte Region werden noch auf lange Zeit diese Bereiche prägen und unverzichtbar sein. Eine sehr ähnliche Situation stellt sich in Karlsruhe dar. Auch hier fließt der Rhein an der Stadt vorbei.

»Den fehlenden Bezug zum Wasser bezeichnen viele Menschen als eines der größten Defizite ihrer Stadt.«
Anke Karmann-Woessner / Heike Dederer

Man mag dies bedauern, es stellt sich aber die Frage, in wieweit hier die blaue und grüne Infrastruktur, ebenso wie die »graue«, also technische Infrastruktur, für eine nachhaltige Entwicklung nicht auch (in bestimmtem Umfang) vereinbar sind, während die Rückgewinnung des Neckars und seiner Nebenflüsse als Lebensraum und identitätsstiftendes Band der Region Stuttgart eine Generationenaufgabe bleibt, die des gemeinsamen Gestaltungswillens und der Kraftanstrengung einer großen Anzahl von Akteuren bedarf ➂. Gerade in diesen Bereichen sind die Bodenpolitik und der ökologische Umbau eine zentrale, generationenübergreifende Anforderung. Die IBA könnte aufzeigen, dass räumlich-funktionale Verbindungen für den Fuß- und Radverkehr, Verbindungen über den Neckar möglich werden.

Mit der Rückholung des Gewerbes in die Stadt und seiner Formation zu einem neuen Stadtbaustein hat die IBA einen wertvollen Fokus auf ein brandaktuelles Thema gelegt. Die Sicherung von Flächen für produzierendes Gewerbe wird auch in der emotionalen Diskussion der Wohnraumknappheit immer wichtiger. Daher ist es der IBA’27 zu danken, dass sie sich dieses Themas in der Dichte und mit der Qualität und Ideenvielfalt annimmt und hier die Anwaltschaft für ein lange vernachlässigtes Thema übernimmt.

Über die Autorinnen

Anke Karmann-Woessner
Bild: Barbara Gandenheimer

Anke Karmann-Woessner studierte Architektur/Stadtplanung an der TH Darmstadt und promovierte zum Europäischen Umweltrecht an der TU Kaiserslautern. Nach dem 2. Staatsexamen folgte eine langjährige Tätigkeit in der Bayerischen Staatsbauverwaltung mit einer mehrjährigen Auslandstätigkeit in Frankreich. 2009 wechselte Anke Karmann-Woessner in die Kommunalverwaltung und ist seit 2013 Leiterin des Stadtplanungsamtes in Karlsruhe. Zahlreiche Lehrtätigkeiten an Universitäten und Hochschulen, Honorarprofessur an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, Nürtingen, Honorary Professorship 2018–2021, University of Salford (GB) sowie Preisrichter- und Vortragstätigkeiten. Anke Karmann-Woessner ist Mitglied der DASL, Vorstandsmitglied der DGNB und im Beirat der Bundesstiftung Baukultur.

Heike Dederer machte nach dem Studium der Architektur mit Vertiefung Städtebau ihr zweites Staatsexamen in Baden-Württemberg. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet sie inzwischen im Stadtplanungsamt Karlsruhe, leitet dort den Bereich Generalplanung und Stadtsanierung sowie die Planungsstelle des Nachbarschaftsverbands Karlsruhe. Über die Beschäftigung mit dem Thema Klimaanpassung ist sie auf die Gewerbegebiete als Hotspots gestoßen. Daher widmet sie sich bereits seit geraumer Zeit der (Weiter-)Entwicklung von Gewerbegebieten im Bestand.

Bild: Barbara Gandenheimer

Dieser Beitrag ist erschienen in unserem Reader »Stimmen zur Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart«.


➀ Vgl.: https://www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/NSPWeb/DE/Initiative/Leipzig-Charta/NeueLeipzig-Charta-2020/neue-leipzigcharta-2020_node.html, Zugriff 01.06.2023
➁ https://www.iba27.de/wissen/iba27/themen-und-raeume
➂ Vgl.: https://www.iba27.de/wissen/iba27/themen-und-raeume

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