18.06.24
Stimmen zur IBA’27

Das Comeback der Vorstadt

Neben dem Wohnen steht die »Zukunft der Zentren« im Fokus der IBA 27 – In Stuttgart kommt dieses Thema aber zu kurz

von Amber Sayah

Sagen wir es mit Jan Böhmermann: Alle Innenstädte in Deutschland sind gleich. Landauf, landab derselbe öde Mix aus Billigmode-, Brillen- und Mobilfunkläden, dieselben austauschbaren Fassaden, so dass man schon gar nicht mehr weiß, welche Innenstadt ist denn jetzt welche? Ist auch nicht so wichtig, fest steht aber seit geraumer Zeit, dass die Innenstadt stirbt – an Langeweile. Ihr Siechtum war schon vor dem Auftauchen des SARS-CoV2-Erregers evident, hat sich seit Corona aber nochmals beschleunigt. Die postpandemische Stadt – Politik, Verwaltung, Citymanager, Immobilienwirtschaft, Handelsverbände – sucht ihr Heil darum in der Total-Eventisierung. Kein Tag ohne Rummel oder Riesenrad.

»Es geht um die Neuerfindung der Mitte.«
Amber Sayah

Offensichtlich funktioniert die Dauerbespaßung. Straßen und Cafés sind wieder voll, die Götterdämmerung der Fußgängerzonen ist vorerst abgewendet, der Patient Innenstadt reanimiert. Nur: die Leute üben sich weiter in Konsumzurückhaltung, dem Einzelhandel geht trotz Belebung der Zentren die Puste aus. Selbst in 1A-Lagen stehen Läden leer, machen Kaufhäuser dicht und kapitulieren internationale Player, kaum dass sie an der Haupteinkaufsmeile ihre großflächigen Stores eröffnet haben. Im März 2023 lagen die Einzelhandelsumsätze in den Innenstädten von Berlin, München, Hamburg, Stuttgart und Dresden um fünf Prozent niedriger als vor der Pandemie, wie das Wirtschaftsforschungsinstitut ifo ausgerechnet hat.

Parallel zu dieser Erosion der Mitte vollzog sich der Aufstieg der Peripherie. Um rund dreißig Prozent haben die privaten Konsumausgaben in den Vororten nach ifo-Angaben zugenommen, was auf die vermehrte Arbeit im Homeoffice zurückgeführt wird: Wer zuhause arbeitet, kauft bevorzugt am Wohnort ein. Eine Trendumkehr erwarten die Experten langfristig nicht, »diese Veränderung im Einkaufsverhalten wird bleiben«. Wenn aber die Arbeit sich ändert, ändert sich auch die Stadt. Urbane Zeitenwende: die Metropolen haben es jetzt mit dem gleichen Donut-Effekt zu tun, von dem die Stadtforschung zuvor schon in Bezug auf kleine und mittlere Städte gesprochen hat – innen ein Loch, außenrum ein fetter Rand. Shopping als einziger Daseinszweck entfällt daher für Downtown. Eigentlich, schreibt der Architekt und Professor für Stadtentwicklung Tim Rieniets auf der Homepage der IBA’27, brauchen wir die Innenstädte nicht mehr, »wir kommen auch ganz gut ohne sie zurecht«.

Es geht folglich um nichts weniger als um die Neuerfindung der Mitte. Trotzdem ist eine Abkehr von den alten, stadtverödenden Geschäftsmodellen nicht in Sicht. Ihre Ursache hat diese Veränderungsunlust in der Ökonomie der Innenstadt. Denn über das Wohl und Wehe der Zentren entscheiden andere als Zara, Douglas oder Fielmann. Die meisten Gebäude befinden sich im Besitz von Fonds und Immobilienkonzernen, und bevor nicht der letzte Filialist das Licht ausgemacht hat, nimmt man bei diesen lieber Leerstände in Kauf als mit den astronomischen Mieten runterzugehen oder gar Experimente zu wagen. »Neben dem veralteten Planungsrecht gehört deshalb die Neuverhandlung der Bodenfrage auf die Agenda«, lautet die logische Schlussfolgerung von IBA’27-Intendant Andreas Hofer (in Arch+ Nr. 248, 2022).

Ein dickes Brett, was da zu bohren wäre, viel zu dick für eine IBA. Und obwohl sich die Bauausstellung bei ihrem Start »Die Zukunft der Zentren« als eines von fünf Themenfeldern für ihre Arbeit auf die Fahnen geschrieben hatte, konzentriert sie sich inzwischen doch weitgehend auf Wohnprojekte in der Region. Wohnen ist heute zweifellos ein drängendes Problem, nicht nur weil es überall an Wohnraum fehlt, sondern weil es – gerade im Stammland der Häuslebauer – Gegenmodelle zum beliebten Flächenfresser Einfamilienhaus zu entwerfen und dafür einstige Gewerbe- und Industriequartiere in Zentrumsnähe für die Zukunft zu aktivieren gilt. Hundert Jahre nach Mies van der Rohes Werkbundsiedlung auf dem Weissenhof mit dem Titel »Die Wohnung« hat die aktuelle IBA mit dieser thematischen Ausrichtung zudem den Charme, die Urgroßmutter aller Bauausstellungen zu beerben.

»Die postpandemische Stadt sucht ihr Heil in der Total-Eventisierung.«
Amber Sayah

Stuttgart, immerhin Titelstadt der Internationalen Bauausstellung 2027, ist ebenfalls mit einigen Wohnquartieren im Programm vertreten. Wirklich zentral liegt aber nur die Neue Mitte Leonhardsvorstadt mit dem Züblin-Parkhaus und dem Haus für Film und Medien. Noch steht nicht fest, was mit dem Parkhaus geschieht, ob es abgerissen und neugebaut oder umgebaut und umgenutzt wird. Aber dass hier ein Stadtbaustein entsteht, der neuartig gestaltete und bespielte Räume schafft, Leonhards- und Bohnenviertel städtebaulich verknüpft und noch dazu über die Verkehrsschneise B14 hinweg Strahlkraft bis ins historische Zentrum um Marktplatz und Schillerplatz entwickelt, zeichnet sich ab. Ein Hoffnungsträger.

Man hätte sich nur mehr solcher Anstöße Richtung Utopie gewünscht, die zeigen, dass es auch anders geht. Weil das Kapital und der Mensch sich ja viel zu sehr daran gewöhnt haben, dass die Innenstädte aussehen, wie sie aussehen. Im Prinzip ist man dort nur in seiner Eigenschaft als Verbraucher gefragt. Es fehlt schlichtweg die Fantasie, wozu der Raum im Herzen der Stadt sonst noch verwendet werden könnte als Sachen zu kaufen.

Ja, wenigstens zwei oder drei weitere Projekte von dieser Sorte wären schön gewesen, damit die Leonhardsvorstadt kein Sonderfall auf weiter Innenstadtflur bleibt und künftig auch nicht als solcher abgetan werden kann. Und damit man sich ein noch besseres Bild hätte machen können, was alles möglich wäre: Wohnen, Bildung, Kommunikation, Arbeiten, Lernen, Freizeit in ehemaligen Kaufhäusern, Bürobauten, Parkgaragen. Mit anderen Worten: das ganz normale Leben – mitten in der Stadt von morgen.

Über die Autorin

Bild: Wilhelm Betz

Amber Sayah ist eine freie Journalistin, bis 2018 Redakteurin für Architektur und Bildende Kunst in der Kulturredaktion der »Stuttgarter Zeitung«. Mitbegründerin und von 1998 bis 2017 Moderatorin des Ludwigsburger Architekturquartetts, das sich in öffentlichen Diskussionsrunden mit dem Bauen in der Region Stuttgart und Ludwigsburg auseinandersetzt. Seit 2021 Moderatorin der Baden Badener Architekturdialoge. Zahlreiche Buchveröffentlichungen und Beiträge in Fachmagazinen. 1997 und 2018 Erster Preis beim Medienpreis der Bundesarchitektenkammer.

Dieser Beitrag ist erschienen in unserem Reader »Stimmen zur Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart«.

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