25.05.23
Gemeinsamer Aufruf von AKBW und IBA’27

Wohnungsbau jetzt – sozial und zukunftsfähig!

Mit dem gemeinsamen Aufruf »Wohnungsbau jetzt – sozial und zukunftsfähig« wenden sich die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) und die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) an die Landesregierung. Es bestehe akuter Handlungsbedarf, heißt es dort. Obwohl die mehr als 450 Millionen Euro aus der sozialen Wohnraumförderung bereits im Mai komplett vom Markt abgerufen wurden, würden zahlreiche Projekte storniert. Investoren sprängen ab, weil sich durch steigende Zinsen, Inflation und teils massive Baukostensteigerungen Quersubventionierungen über verkäufliche Wohneinheiten nicht mehr rechneten. Dieser faktische Stopp im sozialen Wohnungsbau bedrohe den sozialen Frieden im Land. AKBW und IBA schlagen eine Doppelstrategie vor aus Sofortprogramm für aktuell baureife Wohnbauprojekte mit Sozialbindung sowie, mittelfristig, eine Revision der Förderpraxis im Wohnungsbau. Baden-Württemberg könne hier wichtige Impulse Richtung Bundespolitik geben.

Der Aufruf im Wortlaut:

Wohnraummangel spaltet die Gesellschaft!

Der Wohnungsmangel war bereits vor den Krisen eklatant. Die Prognos-Studie von 2017 zeigte für Baden-Württemberg, dass die jährlichen Wohnungsfertigstellungen auf mindestens 54.000 Wohneinheiten gesteigert werden müssten, damit die Wohnungslücke nicht von 88.000 Wohnungen im Jahr 2015 auf über 200.000 Wohnungen steigt. Stattdessen sanken die Fertigstellungen seit 2020 stetig. Für 2023 wird ein Rückgang von 25 Prozent erwartet. Gerade der preissensible Wohnungsbau kommt nahezu zum Stillstand.

Die gesellschaftliche Relevanz des Wohnungsbaus ist enorm. Bereits 2021 waren jede sechste Familie und jede dritte Alleinerziehende mit Wohnraum unterversorgt. Diese Entwicklung verschärft sich zulasten unterer Einkommensschichten weiter. Schon heute sind mehr als zehn Prozent der Bevölkerung in Wohnungen untergebracht, die nach Standards der Vereinten Nationen als unzureichend definiert sind. Zwischenzeitlich hat sich die Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft.

Die Ursachen liegen auf der Hand: hohe Anforderungen, hohe Kosten, hohe Zinsen

Über die gesamte Wertschöpfungskette sind die Kosten von Bauprojekten massiv gestiegen. Kostensteigerungen konnten in Zeiten günstiger Kredite ausgeglichen werden. Durch die gestiegenen Zinsen ist dies nicht mehr möglich. Aufgrund der Kombination aus hohen Anforderungen, hohen Kosten und hohen Zinsen sind viele Projekte nicht refinanzierbar und insgesamt unwirtschaftlich. Dies betrifft die klassische Projektentwicklung in ähnlichem Maße wie die gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft.

Förderinstrumente und Innovationsprogramme zu wenig wirksam

Die Förderinstrumente von Bund und Land sollten die Mehrkosten durch gestiegene Anforderungen an Gebäude dämpfen. Dies funktionierte selbst unter günstigsten Marktbedingungen nur bedingt. Im aktuellen Zinsumfeld und der aktuellen Lieferkettensituation sind die Instrumente weitestgehend unwirksam – trotz Baupreisindexierung der Wohnraumförderung in Baden-Württemberg. Zusätzliche Anforderungen gegenüber den gesetzlichen Standards erschweren den Zugang zu den Fördermitteln signifikant. Daher werden Projekte, die kurz vor der Realisierung stehen, in beinahe letzter Sekunde gestoppt.

Rettungsschirm und zukunftsfeste Wohnraumförderung »made in Baden-Württemberg«

Der Einbruch im Wohnungsbau geht vor allem zu Lasten der schwachen Marktteilnehmer. Zur Entschärfung des Wohnungsmangels und somit zur Entspannung der sozialen Folgen ist eine Doppelstrategie notwendig:

Erstens muss kurzfristig und zeitlich begrenzt ein Rettungsschirm gespannt werden, der dem Bau bezahlbarer Wohnungen durch die Talsohle hilft. Es braucht einen Impuls, um Projekte, die kurz vor der Realisierung stehen, über die Wirtschaftlichkeitsschwelle zu heben.

Zweitens unterbreiten die Architektenkammer Baden-Württemberg und die Internationale Bauausstellung StadtRegionStuttgart 2027 (IBA’27) einen Diskussionsvorschlag, wie die Wohnungsbauförderung mittelfristig zukunftsfest ausgestaltet werden könnte, um stark aus der Talsohle hervorzugehen: ein baden-württembergisches Modell für ein Förderschema »Zukunft Wohnen«. Dieses könnte sich zu einem Lösungsimpuls für ein bundesweites Problem entwickeln.

Doppelstrategie – ein Lösungsimpuls aus Baden-Württemberg

1. Kurzfristig zielgenau fördern!

Ein Rettungsschirm für Wohnungsbau mit bezahlbaren Mieten für kurz vor der Realisierung stehende Projekte hilft dem Wohnungsmarkt durch die Talsohle. Die bereitstehenden Mittel von Bund und Land müssen möglichst große und kurzfristige Wirkung erzielen. Jeder geförderte Euro muss unmittelbar die Mietpreise senken. Hierfür schlagen wir eine zeitlich begrenzte Erhöhung des Subventionswerts vor.

Rettungsschirm für Projekte spannen, die sehr kurzfristig verfügbar sind

Kurzfristig realisierbar sind Projekte, deren Grundstück bereits im Eigentum des Projektträgers oder der Kommune sind und eine konkrete Realisierungsperspektive, abgestuft nach Projektumfang haben. Zum Beispiel:
< 50 WE: Baugenehmigung vorhanden, oder spätestens bis Mitte 2024
50 WE – < 100 WE: Baugenehmigung vorhanden, oder spätestens bis Ende 2024
> 100 WE: Baugenehmigung vorhanden, oder spätestens bis Mitte 2025

Programmatik: Soziale Frage ins Zentrum stellen!

Förderfähig dürfen lediglich Projekte sein, die Wohnraum für sozial benachteiligte schaffen und zukunftsfähig sind. Dies sind demnach Projekte mit einem Mindestanteil an sozialgebundenen und preisgedämpften Mieten, bedarfsgerechten Wohnflächen, sozialer Durchmischung, einer städtebaulichen Integration und nachhaltigkeitsgerechten Baustandards. In Frage kommen alle Unternehmen, Gesellschaften und Genossenschaften, die von Satzungswegen oder auf Basis einer für das Projekt besonderen Erklärung einer sozialen Verpflichtung nachkommen.

Fördervolumen und Kriterien

Das Gesamtvolumen der Fördertöpfe und die Förderbedingungen sollten den gestiegenen Baukosten, den höheren Baustandards und dem veränderten Zinsumfeld Rechnung tragen. Konkret schlagen wir vor:

  • eine eigenkapitalunabhängige Zuschussförderung für die Differenz der aktuellen Herstellungskosten zum Index 2021
  • eine Kreditförderung in Form eines zinsfreien Darlehens geknüpft an die Preisbindung über mindestens 30 Jahre

Um Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit zu verbinden, sollten die Projekte mindestens 20% sozialgebundenen oder 30% preisgedämpften Wohnraum enthalten, zur Baukostensenkung einen Stellplatzschlüssel von maximal 0,5 vorweisen und in der CO2-Bilanz über den Lebenszyklus vergleichbar mit einem Gebäude nach KfW-EH 55 Standard sein.

Mit der Förderung sollte eine zeitlich begrenzte Vereinfachung als Wohnraumförderung »light« und Städtebauförderung »light« mit Fokus auf einfacheres Bauen zur Senkung der Kosten und Beschleunigung der Förderungsverfahren einher gehen.

Um den Rettungsschirm kurzfristig zur Verfügung zu stellen, könnten bestehende Mittel – beispielsweise aus dem Grundstücksfonds, der Wohnraumförderung, der Städtebauförderung und der Wohnraumoffensive – umgelenkt und aufgestockt werden.

Auswahlverfahren und Abwicklung der Projekte

Mit dem Programm »Innovativ Bauen BW« hat das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen ein schlankes Verfahren entworfen, das als Vorbild für die Abwicklung des Rettungsschirms dienen sollte. Das Antragsformular ist knapp und einfach. Die Auswahl von Projekten durch eine Jury erscheint sinnvoll. Die Abwicklung des Rettungsschirms sollte in weitere Förderprogramme des Bundes und der Kommunen integriert werden, um den bürokratischen Aufwand zu minimieren und die Verfahren zu beschleunigen.

2. Das Baden-Württemberg-Modell: ein effektives Förderschema für den Wohnungsbau

Um gestärkt aus der Talsohle hervorzugehen, braucht es eine klare Analyse der Hemmnisse und eine Grundrevision der Förderpraxis im Wohnungsbau des vergangenen Jahrzehnts. Eine offene Diskussion darüber, wie ein zukunftsfestes Förderschema aussehen kann, ist unabdingbar. Denn: unter historisch günstigen Bedingungen ist es nicht gelungen, ein Wirkgefüge aus Regulatorik und Förderung zu entwickeln, das zu einer Befriedigung der Nachfrage im Wohnungsbau führt. Daher braucht es eine neue Strategie, die sich verändernde Bedarfe adressiert, verschiedene Förderlogiken (Objekt- und Subjektförderung) kombiniert und alle Einflussfaktoren für die Schaffung geeigneten Wohnraums in den Blick nimmt.

Vorgehen

Ausgangspunkt sollte Analyse des Wohnraumbedarfes darstellen, wie in der Prognos-Studie bereits angefangen. Es bietet sich an, die Prognos-Studie weiterzuführen und zu konkretisieren. Daraus ließen sich Wohnungsbauschwerpunkte für Baden-Württemberg ableiten und – wie in den 1990er-Jahren bereits praktiziert – definieren.

Wohnungsbau an Programmatik orientieren

Ein zukunftsfestes Förderschema sollte durch eine ganzheitliche Programmatik gekennzeichnet sein. Diese muss auf Basis aktueller Entwicklungen hergeleitet und politisch definiert werden. Bestandteile der Diskussion müssen sein:

  1. die veränderten Anforderungen durch den demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel: Veränderung der Nachfrage nach Wohn-Typologien, Bevölkerungswanderung, Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Wohnen, Veränderung der verfügbaren Einkommen
  2. die veränderten Anforderungen an das Angebot: geeignete Bauträgerschaften und Bodenpolitik, um Wohnen als Gemeingut dem Markt zuzuführen. Bewertung der Folgen der Baukosten und Zinssteigerungen
  3. eine realistische Betrachtung des Wohnungsbestandes und des Umnutzungspotenzials: Leerstand, Fehl- und Unterbelegung, Aktivierungs- und Drittverwertungsstrategien
  4. ein zukunftsfähiger Städtebau und der Blick ins Quartier: Baulandaktivierung im Kontext bezahlbarer Infrastruktur, Nahversorgung des täglichen Bedarfs und Mobilität. Flächeneffizienz, Wohnen als soziales System denken, in dem die Nachbarschaft Aufgaben übernimmt, Quartiersmanagement, Umzugshilfen, etc.
  5. die Bodenpolitik, soziale Marktwirtschaft und Besteuerung – Bezahlbarkeit und Wirtschaftlichkeit: Ein Mindestmaß und Grenzen staatlicher Eingriffe herleiten, verträgliche Gewinnspannen bei der Spekulation mit Grund und Boden definieren; Reformen bei der Mehrwertsteuer für Baustoffe, Reform der Baugenehmigungsgebühren, Steuerungsmöglichkeiten über die Grundsteuer
  6. die Transformation der Bauwirtschaft: Innovationshürden abbauen, einfacher und nachhaltiger Bauen, Effizienzsteigerung durch Digitalisierung und neue Baumethoden.
  7. eine Kombination aus Objekt- und Subjektförderung, die sowohl Projekte unterstützt, die eine Vielzahl an bezahlbarem Wohnraum schaffen als auch Menschen, die sich unter den veränderten Rahmenbedingungen keinen bezahlbaren Wohnraum finanzieren können, z.B. Mietpreisstaffelung abhängig vom Wohnberechtigungsschein

Zukunftsfähige Wohnraumförderung braucht qualitative Steuerung!

Um den Zugang zu Fördermitteln zu erleichtern und den bürokratischen Aufwand zu reduzieren werden alle Förderprogramm des Bundes, der Länder und deren nachgelagerter Institutionen in ein durchschaubares Förderschema »Zukunft Wohnen« mit einer einzigen Förderstelle integriert.

Sonderformate wie Bundesgartenschauen, Landesgartenschauen und internationale Bauausstellungen zeigen, welche Innovationskraft die Bauwirtschaft unter den richtigen Rahmenbedingungen hervorbringen kann. Zur Durchführung könnte aus den Projektgesellschaften eine Dachgesellschaft auf Landesebene gegründet werden, die eine vergleichbare inhaltliche Kompetenz entwickeln müsste. Die Dachgesellschaft müsste mit eigenen Projektmitteln ausgestattet werden.

Downloads

AufrufWohnen

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