Rückblick
IBA’27-Plenum #6: Bericht aus der Werkstatt
Wie kann es gelingen, städtebauliche Prozesse und planerische Verfahren agiler, spielerischer und bürgernäher zu machen? Dieser zentralen Frage widmete sich das Plenum #6 der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27), das am 17.11. in Kooperation mit dem Kongress »Raumwelten« in der Karlskaserne Ludwigsburg stattfand. Im Livestream wurden drei Schwerpunkte – Beteiligung, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsverfahren – in Werkstattgesprächen thematisiert. Die Journalistin und Moderatorin Amber Sayah moderierte den Abend.
»Der gemeinsame Nenner aller IBA’27-Vorhaben ist der Wunsch nach Zukunftsfähigkeit«, erläuterte Andreas Hofer, Intendant der IBA’27, zu Beginn der Veranstaltung. »Die IBA’27 ist hier mit einer Fülle von Ideen beschenkt worden.« Der Prozess der Qualifizierung zum IBA-Projekt sei dann wiederum ein permanenter und vielfältiger: Wo liegen die großen Potenziale? Passen Qualitäten und Realisierungszeitraum? Werden relevante Zukunftsfragen beantwortet? Nach diesen Kriterien wurden im Sommer 2020 aus dem IBA’27-Netz die ersten 13 Projekte identifiziert und offiziell ernannt. Weitere werden noch hinzukommen mit dem Ziel, der Welt 2027 einen »bunten Strauß« herausragender Projekte zeigen zu können, so Andreas Hofer.
Möglichkeiten der Beteiligung
Erfolgreiche Stadtentwicklung beinhaltet die aktive Auseinandersetzung mit allen Akteuren. Im Idealfall werden sie von Beginn an einbezogen und beteiligt. Ein Filmbeitrag zeigte, wie mit dem »Planspiel Zukunft Leonhardsvorstadt« im Sommer 2020 ein beispielgebendes niederschwelliges Angebot entstanden ist: In verschiedenen Workshops konnten Interessierte und Anwohner Ideen, Wünsche und Vorstellungen entwickeln, die als Grundlage für den weiteren Planungsprozess IBA’27-Projekt »Leonhardsvorstadt« der Stadt Stuttgart dienen.
Laura Bruns (Team stadtstattstrand), Hannah Pinell (IBA’27), Prof. Tim Rieniets (IBA’27-Kuratorium) und Dr. Stefanie von Andrian-Werburg (EnBW) diskutierten im Anschluss, für welche Planungs- und Beteiligungskultur die IBA’27 stehen soll und warum Beteiligung wichtig ist. Nach Meinung von Tim Rieniets hat die heutige vernetzte Gesellschaft einen anderen Informationsanspruch, zudem hält er das bis heute oft praktizierte hoheitliche Planungsverständnis für weitgehend überholt. Dennoch ist seiner Ansicht nach in jedem Projekt eine behutsame Abwägung nötig, wie viel Partizipation möglich und gewünscht ist. Laura Bruns hingegen geht es nicht um eine partielle Beteiligung, sondern um aktives Mitwirken an Stadtgestaltung. Als Beispiel nannte sie die Pioniernutzung, bei der Räume temporär zur Verfügung gestellt werden – ganz ohne Nutzungsvorgaben. Hannah Pinell hob die Diversität aller Beteiligten mit ihren unterschiedlichen Ansätzen als besondere Chance hervor, davon profitiere auch die IBA. Und auf die Frage, warum sich ein privatwirtschaftliches Unternehmen wie die EnBW für Beteiligung stark macht, erklärte Dr. Stefanie von Andrian-Werburg, dass bei der Entwicklung des Stadtquartiers »Der neue Stöckach« Teilhabe und die Gestaltung mit den Bewohnern ein zentraler Anspruch sei – nicht nur während des Planungsprozesses, sondern auch darüber hinaus.
Dringend gefragt: Nachhaltigkeit
Die Emissionen aus dem Bausektor machen etwa ein Drittel des weltweiten CO² -Ausstoßes aus, daher muss schnellstens ein Umdenken stattfinden, sagte Karin Lang (Kaufmännische Geschäftsführerin der IBA’27) zu Beginn des zweiten Werkstattgesprächs. Zusammen mit Stefanie Kerlein (IBA’27) und Dr. Stephan Anders von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) diskutierte sie zu Nachhaltigkeit und Ökologie.
Beim nachhaltigen Bauen müsse man neben den Einzelgebäuden vor allem auch die Maßstabsebenen von Quartieren und der Region betrachten, ist sich Stephan Anders sicher. Hier spiele der Bestand eine entscheidende Rolle, Rückbau und Wiederverwendung von Baustoffen seien wichtige Aspekte einer positiven Klimabilanz. Die DGNB arbeite eng mit der IBA’27 zusammen. Eines der Ziele der Kooperation sei die Entwicklung eines neuen IBA’27-DGNB-Standards für die Nachhaltigkeitszertifizierung. »Die IBA’27 unterstützt die Planerinnen dabei, Gebäude so umweltverträglich zu konzipieren, dass viele Regularien nicht mehr benötigt werden«, sagte Stefanie Kerlein. Die Entwicklung des IBA’27-Projekts »Backnang-West« sei hierfür ein gutes Beispiel. Es soll eine Kultur des Experimentierens entwickelt werden, mit mutigen Mitstreiterinnen für einen ganzheitlichen Planungsansatz.
Neue Wege für Wettbewerbsverfahren
Ein wesentlicher Aspekt auf dem Weg zu einer besseren Baukultur ist das Wettbewerbsverfahren. Die IBA’27 nähert sich der Aufgabe mit vielfältigen, neuen Methoden, beispielsweise zur Auswahl möglicher Wettbewerbsteilnehmerinnen. »Es müssen Menschen gefunden werden, die Lust haben, sich mit einem besonderen Ort kreativ zu beschäftigen«, formulierte Andreas Hofer. Dabei könne ein dem eigentlichen Wettbewerb vorgeschaltetes Skizzenverfahren helfen. Hier werden auf nur einem Blatt erste Ideen für einen Städtebauentwurf skizzenhaft dargestellt wird. Ein solches Prozedere eigne sich laut Andreas Hofer gut, um einen ersten Eindruck über Entwurfsgedanken und Intention der Verfasser zu erhalten. Als Best-Practice-Beispiel stellten Lotte Sanwald und Caroline Straub (Nixdorf-Consult GbmH) den Wettbewerb für das IBA’27-Vorhaben Quartier »Am Rotweg« in Stuttgart-Rot vor. Mit dem Skizzenverfahren ist hier die Auswahl von 15 sehr vielversprechenden Teilnehmerinnen gelungen.
Wie können ungewöhnliche, mutige Verfahren eingesetzt werden, um eine bessere bauliche Qualität zu erhalten? Diese Frage diskutierten Sanwald und Straub anschließend mit Ute Schneider (KCAP Architekten Zürich), Barbara Brakenhoff (Stadt Sindelfingen), Stephanie Bender (2b Architekten, Lausanne) und Dr. Raquel Jaureguízar (IBA’27). Eine große Chance biete das Skizzenverfahren vor allem für Büros, die noch keine entsprechende Referenzliste vorweisen können. Raquel Jaureguízar sieht zudem eine besondere Attraktivität im Wettbewerb mit renommierten Büros, die vorab gesetzt sein können. Beim Skizzenwettbewerb zum IBA’27-Projekt »Backnang-West« haben mehr als 100 internationale Büros teilgenommen. Dennoch sind solch innovative Verfahren nicht für jede Bauaufgabe geeignet, weiß Caroline Straub. Eine gewisse Projektgröße und eine Aufgabenstellung mit komplexen Fragen zu Soziologie, Mobilität und Nachhaltigkeit seien notwendig. Stephanie Bender als Jurymitglied im Preisgericht des IBA’27-Projekts »Quartier Mühlkanal« in Salach berichtete von dem dort angewendeten Werkstattverfahren. So ist davon überzeugt, dass diese Art von Verfahren neue Richtungen aufzeige – in Salach etwa die Neuinterpretation des Reihenhauses im Siegerentwurf von Helsinki Zürich.
Der Kontext des Ortes, ein transparenter Dialog mit allen Akteuren und die Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen sind wichtige Parameter zur Beantwortung der Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben, wohnen und arbeiten? Ute Schneider appelliert dazu an die IBA’27: Die ganze Stadtregion ist schon »Produktive Stadt«. Ihr Plädoyer: »Bitte treibt diesen Prozess voran und versucht ihn zu leben und zu integrieren!«
Hans Drexler (IBA’27-Kuratorium) hob zum Schluss auch den besonderen Entwicklungsprozess der IBA’27 hervor: Mutig, offen und mit großer Diversität lässt die IBA’27 echte Experimente zu und gibt so zukunftsweisende Antworten auf die Frage, wie Stadt neu gedacht werden kann.