Bürgerbeteiligung
Die Stadt gehört den Menschen, die in ihr wohnen
Gemeinsam mit Projektträgerinnen und Partnern will die IBA’27 Planungsprozesse in der Region Stuttgart neu denken. In konzentrierten, kooperativen Verfahren werden Bürgerinnen und Bürger über Projektentwicklungen nicht nur informiert, sondern gestalten die Zukunft ihrer Stadt aktiv mit. Ergebnis im Aushandlungsprozess soll dabei nicht die Durchsetzung der lautesten oder potentesten Einzelmeinung sein, sondern die Formulierung eines verbindlichen demokratischen Gemeinwillens. Über die Summe der Partikularinteressen hinausgehend, dient dieser als Grundlage für die Ausschreibung der internationalen Architektur- und Planungswettbewerbe. Die IBA’27 wünscht sich für die Stadt der Zukunft: größtmögliche Transparenz und Kooperation zwischen Verwaltung und Bürgern und eine demokratische Auseinandersetzung für eine lebenswerte Stadt.
Aktuell laufen in mehreren IBA’27-Projekten Bürgerbeteiligungsprozesse. Beim Projekt »Quartier Mühlkanal« in Salach ist in Planungswerkstätten zwischen Profis, Beurteilungsgremium, Beratern, Verwaltungsspitze und Bürgerinnen ein wertvoller, von gegenseitigem Respekt getragener Dialog entstanden. Dieser mündete in einem aufregenden städtebaulichen Entwurf, der die in den Gesprächen eingeforderte Gemeinwohlorientierung mit großzügigen öffentlichen und halböffentlichen Räumen entschlossen auf die Spitze treibt. Auch die Stadt Backnang hat zusammen mit der IBA’27 im letzten Jahr eine umfangreiche Bürger- und Expertenbeteiligung durchgeführt. Gemeinsam wurde eine Vision für das Quartier Backnang West erarbeitet, die in die Ausschreibung des städtebaulichen Wettbewerbs eingeflossen ist. Gerade arbeiten 24 internationale Büros an einem städtebaulichen Entwurf für Backnang West. Im Januar 2021 werden die Sieger des Wettbewerbs gekürt.
Gemeinsam gestalten – Postareal Böblingen
Am vergangenen Freitag lud die Böblinger Baugesellschaft (BBG) die Bürgerinnen auf das Parkdeck des Einkaufszentrums »Mercaden« ein – mit bestem Blick auf das benachbarte Postareal. Dessen Zukunft stand im Mittelpunkt der Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung. Auf einer Fläche von 6.200 Quadratmetern – das entspricht etwa der Größe eines Fußballfelds – soll nach dem Umzug der Post ein neuer Stadtbaustein entstehen. Statt der grauen siebziger Jahre Betonbauten ist – so die einzige Vorgabe der Initiatoren – ein lebendiges, multifunktionales Gebäudeensemble für die Stadtgesellschaft geplant. Eine »Carte blanche« für die Böblinger, die eingeladen sind, offen über künftige Nutzungen des Areals nachzudenken. Nach der Planungsphase soll 2023 mit den Bauarbeiten begonnen werden um das Bauwerk pünktlich zur Bauausstellung 2027 präsentieren zu können. In unmittelbarer Nähe zum Bahnhof markiert das Gelände den Eingang in die Böblinger Innenstadt. Außerdem bildet es die Schnittstelle zwischen dem neuen Stadtteil »Flugfeld« und der historisch gewachsenen Stadt. »Das Steckt richtig viel Musik drin« sagte Dr. Stefan Belz, Oberbürgermeister von Böblingen, über das Postareal. IBA’27-Intendant Andreas Hofer freute sich, dass so viele Menschen die Möglichkeit zur Beteiligung an diesem Abend wahrgenommen haben. Die Bürgerinnen konnten ihre Wünsche und Ideen im Gespräch, am Planungstisch und an verschiedenen Stellwänden einbringen. »Natürlich mache ich hier mit«, erklärte eine Böblingerin. »Wann hat man schon so eine Gelegenheit die Zukunft der Stadt mitzugestalten?«
Organisiert wird der Beteiligungsprozess vom Büro »Stadtberatung Dr. Sven Fries«. Bis November folgen weitere Beteiligungstermine bei denen sich die Bürgerinnen digital oder vor Ort einbringen können. Im Oktober steht dann die Wahl der Bürgervertretung an. Die gewählten Bürgerinnen und Bürger erhalten die Möglichkeit auch bei den Expertenworkshops dabei zu sein. Und sie haben eine Stimme in der Jury, die über die Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs entscheidet. Damit sich jeder beteiligen kann, sind spezielle Formate für Kinder und Menschen mit einer Einschränkung geplant. So wurde beispielsweise die Auftaktveranstaltung auch in Gebärdensprache übersetzt.
Schritt für Schritt zum Leitbild Leonhardsvorstadt
Im Stuttgarter Leonhardsviertel geht es um das Zusammenwachsen zweier von der autogerechten Stadt zerteilten Viertel im Allgemeinen und die Zukunft des Züblin-Parkhauses im Besonderen. Auch hier soll zentral gelegener Stadtraum – der noch dazu symbolisch hoch aufgeladen ist – in einem partizipativen Prozess den Bürgerinnen zurückgegeben werden. Welche Nutzungen an der städtebaulichen Gelenkstelle des Züblin-Parkhauses entstehen und welche Bedürfnisse bei der Neugestaltung des öffentlichen Raums generell erfüllt werden müssen, darüber handelt das breit angelegte, zeitlich konzentrierte Planspiel »Zukunft Leonhardsvorstadt«. Die Ausschreibung konnte das Stuttgarter Büro »Studio Malta« im Verbund mit den Büros »BeL« und »Belius« für sich entscheiden. Sie führen im Auftrag der Stadt Stuttgart den Beteiligungsprozess durch. Von Mitte August bis Anfang November informieren, sammeln, diskutieren und planen die Macherinnen in unterschiedlichsten Formaten gemeinsam mit den Anwohnern die Zukunft ihres Viertels. Aus Umfragen, Workshops, Mental Maps, Städtebausimulator, Storytelling- und Veranstaltungsformaten entsteht ein vielstimmiges Meinungsbild, das sich schrittweise verdichtet und konkretisiert. Das Ziel: die partizipative Ermittlung der »DNA der Leonhardsvorstadt«. Ihre Besonderheiten, ihr Charakter, ihr städtebauliches Leitbild. Den ersten Höhepunkt erreichte das Planspiel am vergangenen Freitag mit dem »BürgerInnensalon«, der an fünf unterschiedlichen Orten im Viertel stattfand. Hier wurden erste Ergebnisse präsentiert und an unterschiedlichen Fragestellungen gearbeitet. Dass die Technik – in Pandemiezeiten Bedingung für den Austausch vieler Menschen – nicht immer mitspielte, war für den Moment ärgerlich, tut dem Gesamtprozess aber keinen Abbruch. Das Engagement der Bürgerinnen für ihren Stadtteil ist jedenfalls groß, die Aufbruchsstimmung spürbar. Die nächsten Meilensteine sind der »Club Neue Mitte«, der Nutzergruppen und Institutionen aus dem Viertel zusammenbringt und zwei Wochen später die Expertenwerkstatt »Spezialistinnen«, bei der die bisherigen Ergebnisse und Erfahrungen überprüft werden sollen. Im Dezember werden die Macherinnen und Macher als Resultat der intensiven Arbeit eine Studie präsentieren, die die Grundlage für die Planungen im Viertel und die Wettbewerbsausschreibung auf dem Areal des Züblin-Parkhauses bildet.