Gastbeitrag
1:1-Modell: Ein partizipatives Entwurfs- und Kommunikationstool für den Wohnungsbau?
Text: Jana Hartmann, Dennis Häusler; Redaktion: Ursula Hoffmann
Die zeitlose Aufgabe des Wohnungsbaus sieht sich gegenwärtig neuen Herausforderungen gegenüber: Veränderte Haushaltsgrößen und -strukturen formen neue Arten von Hausgemeinschaften und nachbarschaftlichen Beziehungen. Die Gesellschaft wird diverser. Zugleich ist Bauland und Wohnraum vor allem in den Ballungsräumen knapp und ökonomischen Einflüssen unterworfen. Gemeinschaftliche oder generationsübergreifende Wohnformen in einer verdichteten Bauweise gewinnen somit an Wichtigkeit. Doch wie können neue Projekte diesem Wandel gerecht werden? Und wie können neue Wohnformen, Erschließungstypologien und räumliche Kompromisse vermittelt und ausgehandelt werden?
Ein Lösungsansatz, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren und neue architektonische Typologien umzusetzen, ist die Partizipation im Planungsprozess. Für das IBA’27-Projekt »Das genossenschaftliche Quartier am Rotweg« hat man einen breit angelegten Diskurs mit Stadtgesellschaft und Expert:innen etabliert. Die Baugenossenschaften Neues Heim und Zuffenhausen begleiten in Zusammenarbeit mit der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) ihr Neubauprojekt mit einem Programm, das unterschiedliche Aktionen integriert.
Eine davon ist das 1:1-Modell, welches Ausschnitte des neuen Wohnbauprojekts räumlich testet und als Diskussionsgrundlage für den partizipativen Planungsprozess verwendet. Das Besondere daran: Das Projekt nutzt den 1:1-Maßstab nicht wie üblich als konstruktiv-technisches Modell, sondern als räumliches Werkzeug. So können sozial wichtige Schwellenräume wie etwa zwischen öffentlich und privat thematisiert werden. Diese präzisen architektonisch formulierten Übergänge sind im entstehenden Quartier sowie in vielen zeitgenössischen verdichteten Wohnprojekten zentral, da kleinere Wohneinheiten und Flächeneffizienz den Druck auf Erschließungs- und Übergangsräume erhöhen.
Gesprächsrunde lotet Potenziale aus
In einer Diskussionsrunde im Juli 2023 wurden die Potenziale und Herausforderungen des 1:1-Modells mit Planenden, Projektentwickler:innen, Bewohner:innen und Interessierten erörtert. Der Leiter strategische Quartiersentwicklung der Genossenschaft Neues Heim, Martin Gebler, hebt den großen internen Nutzen hervor, denn das Modell fördere die Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Wohnen sowie das Verständnis für die damit einhergehenden Herausforderungen wie etwa dem »richtigen« Maß an Partizipation. Ähnlich äußert sich Stefan Schwarz, einer der planenden Architekten des zukünftigen Quartiers: Er skizzierte mögliche Vorteile des 1:1-Modells: »Über den Begriff der Beteiligung werden sehr oft Erwartungen geweckt, ähnlich eines Wunschkonzerts. Schnell wird das Einfamilienhaus mit Garten und Doppelgarage genannt. Dieses Ideal geht aber nicht mit dem Wissen zusammen, dass wir uns das heute nicht mehr leisten können, weil wir so ganz zentrale Herausforderungen unserer Zeit überhaupt nicht adressieren. In den räumlichen 1:1-Modellen steckt diesbezüglich ein schönes Moment, sie zeigen situative Qualitäten und nicht explizit ein gesamtes Gebäude. Sie ermöglichen die Auseinandersetzung mit einer spezifischen Situation.«
Verdichten heißt, Übergangsräume stärker in den Fokus zu rücken
Wenn Wohnraum verdichtet wird, rücken die Übergangsräume und Themen der Privatheit und des Kollektivs in den Fokus. Der finanzielle Druck, die Verhältnisse von vermietbarer zu gebauter Fläche sowie Erschließung, Rettungswege und Brandschutz sind dabei Aspekte, welche die räumliche Qualität von Schwellenräumen stark beeinflussen können. Entsprechend ist die räumliche Situation komplex, jedoch nicht weniger relevant für die soziale Nachhaltigkeit eines Bauprojektes, wie Till Böttger, der seine Doktorarbeit zum Thema Schwellenraum verfasst hat, berichtet: »Die versteckten Zwischenebenen, die dem Übergang innewohnen, kann man im 1:1 viel besser erleben und nachvollziehen als in abstrakten Darstellungen. Beim Thema Laubengang zum Beispiel, ist der Übergang ins Private extrem wichtig, von daher glaube ich, dass solche Modelle ein Tool sein könnten, welches sowohl die Planenden in der Vermittlung, als auch die späteren Nutzer weiterbringt.« Die Wichtigkeit der Zwischenräume und der Vorteil, diese in einem räumlichen 1:1-Modell zu testen, wird auch bei dieser Aussage klar. Sie lässt uns über die Strukturen des Zusammenlebens und die Akteur:innen einer gelebten Nachbarschaft reflektieren.
Stefan Schwarz hingegen stellt die Frage nach der Aufgabe der Planenden: »Die Diskussion geht über die eigene Wohnung hinaus, in die Nachbarschafts- und Quartierdimension hinein. In seinem eigenen Wohnen ist jeder Experte, jeder kann wohnen wie er oder sie will. Wir denken in unserem Büro oft an die Publikation von Lacaton Vassal, mit 100 Fotos von 100 Wohnungen und mit Einrichtungen, auf die man in den kühnsten Träumen nicht gekommen wäre. Aber genau das macht ja auch das Schöne des Wohnens aus.«
In der Gesprächsrunde wurde deutlich, dass die Beteiligten ein Potenzial in den 1:1-Modellen sehen, vor allem bei sozialräumlichen Fragen zu den Übergangs- oder Gemeinschaftsräumen. Bei dem baulichen Aufwand stellt sich jedoch die Frage, ob mit einfacheren Mitteln oder digitalen Kommunikationsformen dieselbe Wirkung erzielen werden kann. Martin Gebler berichtet dazu aus der Erfahrung des Bauträgers: »Um die Projekte zu verstehen, sind gebaute Beispiele am Besten: Wir waren auf der Exkursion in Wien und haben uns angesehen, wie der Laubengang eines genossenschaftlichen Projekts heute genutzt wird. Da wurde das Thema tatsächlich richtig plastisch. Aber ich bin auch von der Vorstellung fasziniert, was mittlerweile mit VR-Brillen möglich ist, selbst auf einer relativ einfachen Basis. Es ist die Frage, ob das tatsächlich zielführender wäre, als der Bau eines 1:1-Modells.«
Die Methode des 1:1-Modells ist nicht immer angemessen, dennoch kann das Analoge spezifische Qualitäten vermitteln. So bestätigt Grazyna Adamczyk-Arns, Projektleiterin der IBA’27: »VR ist vielleicht beeindruckend gut, es ist aber deine Brille, deine Wahrnehmung und man erfährt keine Interaktion. Der Vorteil am Modell ist, dass man hier Dinge gemeinsam entdecken kann. Der Grund, warum wir dieses Tool hier in Rot einsetzen wollten, war ja, die teilweise unkonventionellen Lösungen und Typologien und ihre Qualitäten verständlich und erfahrbar zu machen. In der realen Kulisse können Vorbehalte viel einfacher in Gesprächen ausgeräumt werden.« Tim Kaiser fügt an: »Das reale Kommunizieren ist etwas ganz anderes als über digitale Räume. Auch auf sozialer Ebene ist es in genossenschaftlichen Projekten oft wahnsinnig wichtig, eine reale Schnittstelle zwischen den zukünftigen Nutzenden und den Planern herzustellen.«
Herausforderungen, wie die der zeitlichen Dimension, beschreibt Stefan Schwarz: »Der Einsatz von Modellen hat grundsätzlich die Bedingung, dass man erst etwas entwerfen muss, um ein Modell bauen zu können. Damit vergeht natürlich eine gewisse Zeit im Prozess. Denn ohne dieses Modell kann man die Erkenntnisse daraus nicht in den Prozess zurückspielen. Das dialogische Arbeiten mit Modellen benötigt eigentlich mehr Zeit – und dies in einem kompakten Planungsprozess, bei dem es oft einen hohen Zeitdruck gibt. Ich glaube aber, mit mehr Zeit ließen sich die Potenziale des räumlichen 1:1-Modells noch wesentlich steigern. Gerade für die Kommunikation gewisser räumlicher Situationen ist das Modell ein unglaublich greifbares Instrument, auch für Menschen, die mit einem Plan oder einer Visualisierung weniger vertraut sind. Der Aspekt, Dinge anfassen zu können, ist wesentlich. Das betrifft maßstäbliche Modelle wie auch das 1:1-Modell besonders, ich kann einen persönlichen Bezug zu diesen Modellen aufbauen.«
Es wird deutlich, dass der Einsatz eines partizipativen 1:1-Modells zeitlich, organisatorisch und finanziell gewisse Herausforderungen birgt und dadurch der direkte Einfluss auf die Planung des Bauprojekts limitiert sein kann. Trotz zeitlicher Einschränkungen trug das 1:1-Modell wesentlich zum Verständnis und zur Akzeptanz des Projekts bei.
1:1-Modell könnte fester Bestandteil im Bauprozess werden
Bisher bieten räumliche 1:1-Modelle noch wenig erforschte Möglichkeiten, spezifische Fragestellungen vertieft und partizipativ zu erkunden. Die Nachbildung geplanter Wohnräume eröffnet jedoch neue Perspektiven für eine präzisere Gestaltung, einem interaktiven Testen und einer offenen Partizipation, die den sich wandelnden sozialen Bedürfnissen gerecht werden kann. Insbesondere bei großen Quartiersentwicklungen könnten 1:1-Modelle feste Bestandteile im Bauprozess werden, um frühzeitig Erkenntnisse zu gewinnen, soziale Fehlplanungen zu mindern und die Qualität der architektonischen Gestaltung mit den Nutzer:innen abzustimmen. Die Modelle eröffnen die Möglichkeit, bei der Planung von Wohnräumen deren soziale Aspekte in den Fokus zu stellen und zur Planung von sozial nachhaltigen, lebenswerten Umgebungen beizutragen.
Alle Zitate (zum Teil redaktionell gekürzt) stammen aus dem Round-Table-Gespräch vom 07.07.23. Es wurde vor Ort in den 1:1-Modellen am Rotweg in Stuttgart geführt.
Moderation:
Jana Hartmann, Dennis Häusler von studio komaba
Gesprächsteilnehmer:innen:
Grazyna Adamczyk-Arns, Projektleitung, IBA’27
Prof. Dr. Till Böttger, at11, Hochschule HAWK
Martin Gebler, Neues Heim – Die Baugenossenschaft eG
Tim Kaiser, Universität Stuttgart, Institut Wohnen und Entwerfen
Stephan Schwarz, ISSS research | architecture | urbanism, Berlin
Dietmar Hahn, Projektleiter bei StudioVlayStreeruwitz Wien
Sibylle Wälty, ETH Zürich, ETW Wohnforum